Unterschichts-TV

Schnellschuss mit Hartz IV: Die Reportage „Abgehängt“ versucht eine erste Bestandsaufnahme (21 Uhr, ARD)

Seit ein paar Wochen ist die „Unterschicht“ in aller Politikermunde – heute versucht sich die ARD an einer ersten Einordnung: Was ist „Unterschicht“, und vor allem: Wer fühlt sich ihr zugehörig?

Wir sind in Wattenscheid, es ist früh am Morgen, Kevin ist gerade aufgestanden, um sich für die Schule fertig zu machen. Verschlafen sitzt er mit seinem Vater Harald vor dem Fernseher. Der steckt sich eine Zigarette an und sagt: „Mein Frühstück …“ Kaum ist Kevin aus dem Haus, geht sein Vater nach oben. Dort sitzen der ältere Sohn Marcel, die Schwiegertochter und die kleine Enkelin – alle leben von Hartz IV, alle Erwachsenen saßen schon mal im Knast, Sohn wie Schwiegertochter haben keine abgeschlossene Ausbildung.

So stellt man sie sich wohl vor, die klassische Unterschicht. Und genau so wird sie von Juliane Fliegenschmidt, Julia Friedrichs und Eva Müller in „Abgehängt – Leben in der Unterschicht“ präsentiert: Der Vater, der sich für jede angebotene Arbeit zu schwach fühlt, die Schwiegertochter, die in ihrem Leben noch nie wählen war, und der Sohn, der etwas erzählt von „Wenn man die NPD wählen würde, würde es vielleicht für kurze Zeit besser werden mit dem Staat“.

Doch es geht auch anders, wie das Porträt von Frank Kamelski zeigt: Er wohnt ebenfalls in Wattenscheid und lebt mit seiner Familie von Hartz IV. Aber Kamelski hat sich einen 1-Euro-Job besorgt und gibt nun an einer Schule das Mittagessen aus. „Das Schönste ist, wenn ich mich abends ins Bett lege und weiß, dass ich morgen etwas zu tun habe“, sagt er. Als Unterschicht sehen sich weder Kamelski noch seine Freundin: „Das sind die Menschen, die sich auf ihrem Stand ausruhen. Uns reicht das aber nicht.“

Die vom WDR produzierte Reportage – die im ARD-Programm eine Doku über den deutsch-französischen Krieg verdrängt – ordnet klar in Schubladen: Hier die „gute“ Unterschicht, die sich 1-Euro-Jobs sucht und sich verändern will. Und dort die „schlechte“, wo man den ganzen Tag fern sieht, sich von Fertiggerichten ernährt und niemand Bewerbungen schreibt. Schwerer tun sich die ReporterInnen folglich bei Sonja Pietsch, die zwar eigentlich zur „guten“ Unterschicht gehört, weil sie zur Arbeitstherapie geht und mit ihrem Geld haushält. Doch dann wieder patzt: Sie fühlt sich noch für die nächsten fünf Jahre zu labil, um zu arbeiten.

Was so zum großen Teil leider eine Abbildung gängiger Klischees ist, gewinnt immerhin durch die eher am Rande auftauchende Frage an Tiefe, wie man überhaupt zum „Unterschichtler“ wird: Kevins Eltern zum Beispiel gingen schon auf eine Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten – und die Schwiegertochter erzählt, dass sich als Kind niemand um sie kümmerte.

Doch „abgehängt“, so die Reportage, ist man nur dann, wenn man sich selbst zur Unterschicht zählt – denn das komme einer Selbstaufgabe gleich. Heraus kommt man da schon, sagt der Film – aber eben nur, wenn man zur „guten“ Unterschicht gehört und es auch schaffen will. Doch mit dieser simplen Aussage greift „Abgehängt“ klar zu kurz.

BARBARA BEHRENDT