Mehr Wellengang, bitte

Die Inszenierung vom Untergang des Segelschulschiffs „Pamir“ bleibt trotz großen Staraufgebots merkwürdig zeit- wie bezugslos und verärgert mit Volksgemeinschafts-Pathos (20.40 Uhr, Arte)

VON STEFAN REINECKE

Vor ein paar Jahren hat das deutsche Fernsehen eine wirksame Mixtur entdeckt, um „TV-Ereignisse“ zu inszenieren. Man nehme eine historische Katastrophe – die Bombardierung von Dresden, das Unglück von Lengede, die Hamburger Sturmflut –, eine ausreichend bewegende Liebesgeschichte und viel Geld für vorzeigbare Spezialeffekte. Weil dieses Rezept fast immer aufgeht, hat die ARD nun den Untergang der „Pamir“ verfilmt. Die Viermastbark „Pamir“, ein Ausbildungsschiff der Handelsmarine, sank 1957 in einem Orkan vor den Azoren. Achtzig Seeleute ertranken, nur sechs überlebten.

„Der Untergang der Pamir“ ist ein Ausstattungsfilm. Er hat 7,5 Millionen Euro gekostet, und das soll man auch sehen. Buenos Aires sieht aus wie eine Traumkulisse aus Tangolokalen und Katholizismus. In Schleswig-Holstein, wo Bootsmann Aki Lüders („Tatort“-Kommisar Klaus J. Behrendt) mit seinem Schicksal als junger Witwer hadert, wogen hübsch die Weizenfelder. „Tatort“-Darsteller Jan Josef Liefers spielt den feschen ersten Offizier Ewald, fährt Porsche und ist mit einem ziemlich aufdringlichen Womanizer-Image ausgestattet.

Die Bösen im Film sind reich, autoritär und haben Eheprobleme, so wie Kapitän Lewerenz (Herbert Knaup). Die Guten sind Kumpeltypen wie Bootsmann Lüders und Funker Klaus Nissen („Tatort“-Kommissar Dietmar Bär). Sie haben das Herz am rechten Fleck und auch im Angesicht des nahen Todes noch einen Spruch auf Lager. Viel Schauwerte, viel Klischees. Es gibt ausreichend Konflikte an Bord. Der Kapitän ist verantwortungslos, während der brave Bootsmann Lüders und Offizier Ewald das Unheil kommen sehen.

Trotzdem wirkt die Erzählung, vor allem im ersten Teil, eher plätschernd als zwingend. Am interessantesten ist zeitweise die Frage, welche sechs denn überleben werden. Der Schiffsuntergang ist weitgehend professionell inszeniert, auch wenn man sich den Wellengang etwas heftiger gewünscht hätte. Die Qual der Überlebenden, die tagelang auf dem Meer treiben, greift ans Herz. Der Soundtrack wirkt genreüblich wie Glutamat: viele Geigen bei Liebeshändeln, Schifferklavier bei Seemannsromatik.

Alle Zutaten, die zum Genre Unglücksfernsehfilm gehören, sind vorhanden. Doch eine Leerstelle bleibt: Warum das Ganze? Was soll erzählt werden? „Der Untergang der Pamir“ ist ein bisschen Schurkenstück, ein bisschen Heldengeschichte, ein bisschen 50er-Jahre-Nostalgie. Dabei spielt der Untergang der „Pamir“ im kollektiven bundesrepublikanischen Gedächtnis, anders als zum Beispiel die Hamburger Sturmflut, keine Rolle. Vielleicht wirkt dieser Zweiteiler deshalb, trotz des akkuraten historischen Dekors, so seltsam leer und merkwürdig zeit- und bezugslos.

Dieses Manko scheint eine geradezu aufdringliche Szene beheben zu sollen: Das Radio meldet, dass die „Pamir“ gesunken ist. In Lüders’ Stammkneipe zeigt die Kamera versteinerte, ergriffen-entschlossene Gesichter, wie man sie aus NS-Filmen kennt. „Wir wissen, welche Katastrophe ganz Deutschland getroffen hat“, erklärt der Wirt feierlich, während die Volksgemeinschaft dem Volksempfänger lauscht. Kurzum: In dieser Szene scheint kein Boot, sondern die 6. Armee in Stalingrad untergegangen zu sein. Was das soll, ist nicht leicht zu erkennen. Nur dass die Regie nach dem Motto verfährt: Hauptsache Bedeutung.

Wiederholung: 22. + 24. 11., 20.15 Uhr; ARD/Dokumentation über die „Pamir“ 23. 11., 0.00 Uhr, ARD