Niederbarnim-Camping
: Blendend trist

Passanten verweilen und mustern die neue Baustelle

Freilich erwartbar, ist mein Entsetzen über die Plötzlichkeit der Ereignisse doch groß. Der kleine Wald in der Friedrichshainer Niederbarnimstraße, aus Kriegszerstörung und Sozialismus erwachsen, wurde gerodet. Auf der begehrten, freien Grundstücksfläche, die jetzt Baulücke heißt, werden bleibende Werte aus Beton errichtet.

Ein Bauschild kündigt in Projektentwicklerprosa Wohnungen hinter einer verwechselbaren Fassade an, die eine Bausünde ist. Damit die angepriesenen Eigenheime unter die Leute kommen, steht seit Kurzem ein beiger Wohnwagen der dynamisch klingenden Baugesellschaft in der Straße. Dieser triste Anhänger ist blendender Kontrast zur Atmosphäre des Ortes mit punkiger Blumenhandlung, Eck-Kino Intimes, der Streetart-Wand davor und dem Gedanken an Pfadfinder, der wirklich besten Bar, die ich mir vorstellen konnte.

Doch heute wird hier nun ein Straßenverkauf auf Rädern abgehalten, so stilbewusst wie rollende Bankfilialen in den Tiefen dörflicher Einöden. Da sitzt im Wagen ein Mann mit Anzug, anrüchig, hinter Tagesgardinen an einem Tischchen aus hellbraunem Holzimitat. Einsam wie eine alte Dirne, aber nicht immer ganz einsam.

Passanten verweilen und mustern die neue Baustelle. Nach etwas Zögern klopft ein junges Pärchen an die Camper-Tür. Schüchtern, als wolle es sehr spät noch auf einem Zeltplatz unterkommen. Heraus tritt der Platzwart mit einer unverschämt breiten Krawatte. Das Bauen beginne ja, da könne man kein richtiges Containerbüro mehr errichten, platzt es ihm entschuldigend zur Begrüßung heraus. Gewinnend grinsend, um seine Unvermeidlichkeit wissend, bittet er die beiden herein. Seine Unterlagen zur Finanzierung von Wohneigentum und Wie-schön-es-bald-hier-wird liegen schon bereit.

NIELS MÜNZBERG