„Russland ist wieder zurück“

Der russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow sieht den Auftritt von Präsident Wladimir Putin in München als Zeichen für Moskaus neues Selbstbewusstsein

taz: Herr Lukjanow, Putins Münchner Rede hat im Westen für Aufruhr gesorgt. Von einer Wiederauflage des Kalten Krieges ist die Rede …

Fjodor Lukjanow: Neues hat der Präsident eigentlich nicht gesagt. Es war nur konzentrierter als sonst und er trug es einem ausgesuchten Auditorium vor. Die Form des Auftritts scheint mir viel wichtiger zu sein als der Inhalt. Putin gab sich hart, überzeugt und wirkte irgendwie befreit. Russland ist sich seiner wieder sicher, wollte er vermitteln, und das ist ihm gelungen. Die von dieser Attitüde ausgelösten Reaktionen belegen dies.

Wird das im militärischen Bereich Konsequenzen haben ? Lässt sich Russlands Unmut über die Aufstellung amerikanischer Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien nicht nachvollziehen?

Leider kehrt der militärische Faktor als ein gewichtiges Moment in die internationalen Beziehungen zurück. Dafür steht auch die Äußerung des US-Außenministers Gates, der Russland unter den potenziellen militärischen Gegnern einreiht. Und wenn die USA einen Verteidigungshaushalt von 700 Milliarden Dollar verabschieden, zieht das eine Militarisierung nach sich, auf die die Betroffenen reagieren müssen. Die Konkurrenz zwischen Moskau und Washington in der GUS geht weiter. Zwar wird die Tendenz der neuen Militarisierung in keinem neuen Kalten Krieg gipfeln, die Beziehungen verändern sich aber nachhaltig

War die Rede nicht auch für den Hausgebrauch in Russland gedacht?

Nicht in erster Linie. Dennoch formuliert Putin ein Jahr vor den Präsidentenwahlen sein historisches Erbe: Das Land ist erstarkt, und leistet sich wieder eine eigene Interpretation der Weltlage. Der Tenor ist vor allem antiamerikanisch. Sein Erbe möchte er noch durch eine Neuauflage des EU-Russland-Abkommens anreichern, in dem die politische Komponente durch die wirtschaftliche ersetzt oder zumindest überlagert wird. Das wäre der Beweis: Russland ist als ernster Spieler zurück in den internationalen Beziehungen.

Putin tritt auf wie ein Dompteur. Mal fließt kein Öl – schon bricht der Westen in Panik aus. Mal donnert er gegen die USA und schüchtert den Rest des Westens ein. Steckt Kalkül dahinter oder ist das eine Mentalitätsfrage?

Seit Gorbatschow fühlt Russland sich zum ersten Mal finanziell wieder unabhängig. Das will raus. Ob das zu Missstimmungen führt, ist unseren Politikern egal. Indien, China und Kasachstan sind in den letzten Jahren enorm gewachsen und haben mehr politisches Gewicht. Sie brüllen es den anderen aber nicht ins Ohr. Dort versteht man nämlich, je lauter du schreist, desto stärker werden Gegenwehr und Konfrontation. Bei uns trifft das Gegenteil zu. Wir haben uns ein bisschen erholt und schon gehen wir damit hausieren. Dahinter verbirgt sich eine kindische Aggressivität, gegen die rationale Überlegung nichts ausrichten kann. Einschüchtern, Stärke zeigen, danach ist man wieder bereit, normal zu verhandeln.

War das unter Präsident Boris Jelzin anders ?

Die Position Russlands hat sich nicht geändert, lediglich die Rahmenbedingungen sind neu. Auch damals hätte sich Russland am liebsten so aufgeführt, aber es fehlten die Mittel. Integration in den Westen und Annäherung an die Nato haben wir notgedrungen mitgespielt. Heute ist das nicht mehr nötig. Natürlich verbirgt sich dahinter auch eine tiefe Enttäuschung Putins. 2001 öffnete er den USA den geopolitischen Raum in der GUS und hat dafür nichts zurückerhalten. Im Gegenteil: Die orange Revolution in der Ukraine 2004 wurde als Eingriff in die ureigensten Interessen Russlands wahrgenommen. Seither hat der Gedanke partnerschaftlicher Beziehungen keine Konjunktur. INTERVIEW: KLAUS-HELGE DONATH