Kassenbeleg für private Klimagase

Jede Rechnung müsste Auskunft über die angefallenen CO2-Mengen geben, fordern jetzt die Umwelt-Ratgeber der Regierung. Denkbar seien auch private Klimakonten. Den Emissionshandel für jedermann halten die Experten für zu komplex

VON STEPHAN KOSCH

„Einmal waschen, schneiden, fönen – macht 35 Euro. Soll ich den CO2-Verbrauch extra ausdrucken?“ Ein wünschenswertes Gespräch an der Kasse – finden zumindest die Forscher, die im Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen sitzen. Dieser berät die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Experten fordern weitreichende Maßnahmen zum Klimaschutz. „Den Fortschrittchen des Vorjahres müssen nun Riesenschritte folgen“, sagte gestern die Mainzer Professorin Margareta Kulessa.

Einer davon könnte die Einrichtung eines persönlichen CO2-Kontos für jedermann sein. „Jeder Mensch bekäme eine bestimmte Menge Kohlendioxid, über die er verfügen könnte“, erläutert Kulessa. Noch sei die konkrete Ausgestaltung aber offen. Sanktionen für Überzieher seien jedenfalls nicht geplant. Auch einen privaten Emissionshandel, wie ihn der britische Umweltminister David Miliband fordert, hält Beiratsmitglied Rainer Grießhammer vom Freiburger Öko-Institut wegen zu hoher Komplexität nicht für sinnvoll. „Das lässt sich leichter über den Preis für ein Produkt regeln“, sagte er der taz.

Zur „Bewusstseinsbildung“ fordern die Wissenschaftler, dass die EU-Bürger möglichst bald einen Nachweis darüber erhalten, mit wie viel Kohlendioxid die Inanspruchnahme einer bestimmten Dienstleitung oder eines Produktes die Atmosphäre belastet. Insbesondere der Transportsektor biete sich dafür an, zum Beispiel durch die Ausweisung der absoluten CO2-Emissionen auf einem Flugticket oder der Tankrechnung. So soll der Verbraucher sensibilisiert werden für seinen Einfluss auf den Klimawandel.

Denn dieser erfordere „sofortiges Handeln“, sagen die Wissenschaftler. Sie forderten die Bundesregierung auf, ihre derzeitige EU-Präsidentschaft und den Vorsitz in der Gruppe der wichtigsten Industrienationen (G 8) zu nutzen. Vorschlag der Experten: Die G 8 könnte gemeinsam mit den fünf wichtigsten Schwellenländern China, Indien, Mexiko und Südafrika einen „Innovationspakt zur Dekarbonisierung“ schließen. Darin könnten gemeinsame Standards für effizientere Energienutzung und weniger CO2 festgelegt werden.

Grundsätzlich sehen die Wissenschaftler eine globale Energiewende im Zentrum der nötigen Maßnahmen. Umgesetzt werden sollen die Klimaschutzziele mit einer „Effizienzrevolution“ und einem erheblichen Ausbau der erneuerbaren Energien. In beides muss nach Einschätzung der Sachverständigen deutlich mehr Forschungsgeld gesteckt werden. Kulessa warb dafür, die jährlichen Ausgaben für die Energieforschung aller Industrieländer bis 2020 zu verzehnfachen. Mitte der 90er-Jahre habe das Budget etwa bei 1,3 Milliarden Dollar gelegen. Zielmarke sind 12 Milliarden Euro pro Jahr. Atomstrom hat in diesem Szenario wegen „nicht akzeptabler Risiken“ keinen Platz.

Als „Leuchtturmprojekt“ für die EU schlagen die Sachverständigen ein europäisches „Supernetz“ für Strom vor. Es soll besonders hohe Übertragungskapazitäten haben und von Skandinavien bis Nordafrika Stromschwankungen ausgleichen. Gibt es zum Beispiel eine Flaute in den Windparks in der Nordsee, könnten Solarkraftwerke im Süden den Strom liefern. Kostenschätzungen gibt es noch nicht, sagt Grießhammer. Weil die Stromnetze aber noch in der Hand mehrerer großer Konzerne sind, seien die Finanzen gar nicht das Hauptproblem. Denn damit das System funktioniert, müsste das Netz zentral gesteuert werden. Die Realisierung dieser Idee hänge also eher an der Frage der Organisation als an den Kosten.