Faxen zur Not

THEATER Jan Lauwers & Needcompany lehren das Burgtheater Wien „Die Kunst der Unterhaltung“

Auf der Bühne erfreuen sie sich nach wie vor großer Beliebtheit: Standardsituationen, in denen das Theater nur verlieren kann. Besonders zuverlässig darin ist die Kritik an der Mediengesellschaft durch Widerspiegelung: Berlusconi, Bunga-Bunga, balla balla. Von Livesendungen mit schnarchenden Abonnenten ist unbedingt abzuraten. Als „Medium“ ist das Theater den Medien strukturell unterlegen und die Klage über den Kulturverfall ist selbst nur quotenstarke Unterhaltung.

Wenn sich aber ein Ensemble wie Jan Lauwers’ Needcompany auf die geseifte schiefe Ebene zwischen Bühne und medialen „Formaten“ begibt, lohnt es sich dann doch, hinzuschauen. Die mehrsprachige und multidimensionale Erkundung der Needcompany in die Grenzregionen des Theaters nahm 1986 in Brüssel ihren Ausgang und ist heute präsent auf allen wichtigen Festivals. Als „Artists in Residence“ sind sie die neueste Errungenschaft der Wiener Burg. Ihr Stück „Die Kunst der Unterhaltung“ im Akademietheater lehrt einiges darüber, was im Theater heute so falsch läuft.

Seine Welt ist vielleicht doch keine Scheibe aus Fensterglas, das den perspektivisch richtigen Blick auf eine Wirklichkeit preisgibt, sondern eine Kristallkugel, die den Blick verzerrt, die alles Licht einfängt und in der es kein Außen gibt. Kraft gewinnt es manchmal aus zweifelhaften Quellen, den Resten von Spielbudenillusion und kindlichem Verkleidungsdrang. Zwischen hüftwiegenden Rai-Uno-Mädchen setzt Viviane De Muynck eine blonde Kunsthaarperücke als Zauberhut auf und verkündet die Hochstapeleien des kommenden Abends. Gegeben wird der Freitod eines Schauspielers, mit opulenter Henkersmahlzeit, Giftspritzen und Millionen von Zuschauern.

Saul J. Waner heißt dieser Selbstmörder, das ist das Akronym von Jan Lauwers. Die leibliche Gestalt erhält er von Burgschauspielers Michael König. Das Lob der individuellen „Freiheit“, sich jenseits der 55 selbst vom Markt zu nehmen, ist dabei nicht allzu ernst gemeint, nach billigen Theatertricks wird Waner gleich mehrfach wiederauferstehen. Die Freude seiner Buhlschaft mit dem beziehungsreichen Namen Gena (Grace Ellen Barkey) daran hält sich in Grenzen.

Die Unfähigkeit, über den Tod zu sprechen, lässt sich nicht mehr mit sinnstiftendem Spiel aufwiegen. Vertreter der Schauspieleraristokratie sind mit dieser Arbeit der Needcompany nicht warm geworden. Ursprünglich waren Martin Wuttke und Otto Sander für die Produktion im Gespräch, Paulus Manker gab die Rolle zurück.

Aber worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man Faxen machen. Die Herren Duchamp und James Brown (Julien Faure, Misha Downey) bessern die Henkersmahlzeit mit einer furiosen Koch-und-Kellner-Nummer auf. Eléonore Valère fällt im himmelblauen Kleid hingebungsvoll in einen Pas de deux mit der Handkamera. Der Arzt, der töten wird (Benoit Gob), wirbt nebenbei herzzerreißend für die gute Sache, Ärzte ohne Grenzen, man ist ja live. Sylvie Rohrer von der Burg vermittelt den zivilgesellschaftlichen Appell vom Deutschen ins Französische und wieder zurück.

Schließlich keimt die Ahnung auf von einem ganz großen Missverständnis. Jan Lauwers und sein Ensemble recyceln lustvoll den verschrotteten Hausrat überlebter Theatertraditionen und erzeugen einen Distinktionsgewinn, auf den die Hüter dieser Traditionen gerade scharf sind. Das institutionskritische Moment, das einmal am Beginn von Karrieren wie der von Lauwers stand, ist zwar von gestern, aber noch immer wirkungsvoll. Ohne die Reflexion darüber, dass sich das einmal gegen den eigenen Betrieb gerichtet hat, bleibt alles nur gekauft. UWE MATTHEISS

■ Nächste Aufführungen: Heute und 23. 4. im Burgtheater Wien