Die steinerne Nachhut des Dritten Reichs

Wie sieht das Leben rund um das bauliche Erbe der Nationalsozialisten aus? Der Fotograf Ralf Meyer hat fünf Jahre lang an einer mehrfach ausgezeichneten Dokumentation gearbeitet, die jetzt im Hamburger Museum der Arbeit zu sehen ist

Manches sieht grotesk aus: Der Mann, der einen Mercedes vor einer Steinmauer wäscht, die aussieht wie ein Zwitter aus falscher Burg und noch falscherem Tempel. Die Mauer, das ist ein Rest des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Einer von vielen baulichen Restposten, die unter den Nationalsozialisten errichtet wurden und noch heute zu finden sind. In Nürnberg haben Rennfahrer die Fackelträger abgelöst, bei Bremen spielt man im Bunker Theater und in Führers Berghütte wohnt jetzt der Alpenverein. „Architektonische Nachhut“, hat der Hamburger Fotograf Ralf Meyer seine Spurensuche genannt, von der 110 Bilder ab Freitag im Hamburger Museum der Arbeit zu sehen sind.

Die Ersten hat er zufällig in Laboe gemacht. Das Ehrenmal für die im ersten Weltkrieg gefallenen Marinesoldaten – dessen Baubeginn, so mag man einwenden bereits in den 20er Jahren lag – soll heute Mahnmal für eine friedliche Seefahrt sein. Meyer fiel ein Kiosk auf, an dem die Touristen neben Süßigkeiten auch Reichskriegsflaggen kaufen konnten. „Mich interessiert die Gleichzeitigkeit von Gestern von Heute“, sagt er. Er wollte wissen, wie die Berliner mit den NS-Ministerien umgehen, er wollte sehen, was aus den Bunkern, Freizeitheimen und ja, auch der einen Kirche, geworden ist, die unter den Nationalsozialisten gebaut wurden.

Schwierigkeiten, eine Fotoerlaubnis zu erhalten, hatte er so gut wie nie. Vielleicht, weil er sich den 32 Orten als Fragender genähert hat, was man den Bildern verblüffenderweise ansieht. Meyer schließt nur zwei Antworten aus: den Schlussstrich und das Verdrängen. Einen Supermarkt auf dem ehemaligen Gelände des KZ Ravensbrück zu eröffnen, mit dem Argument, nach sechzig Jahren sei eine Zäsur an der Zeit, ist für ihn indiskutabel. Auf der anderen Seite, und da mag man ihm folgen oder nicht, glaubt Meyer, dass die Sprengungen der Alliierten unbeabsichtigt die Unbelehrbaren beflügelt hätten: „Der Abriss überhöht nur.“

Seine Bilder verweigern sich dem seichten Pathos der Gebäude – und das ist bereits das einzig Allgemeingültige, was man über sie sagen kann. Sie zeigen die ganze Bandbreite des Umgangs mit der NS-Vergangenheit: Die Einbettung in eine geschichtslose Konsumwelt, wie es lange in Nürnberg mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände geschah. Dort ist die Führertribüne heute von Autorennen-Fans bevölkert, die von Eiswerbeplakaten statt von Hakenkreuzfahnen umrahmt werden.

Bei seinem Besuch in der Stadt hat man Meyer von einer Richtlinie aus den 60er Jahren erzählt, der zufolge die baulichen Überreste der Nationalsozialisten durch „banale Nutzung“ bagatellisiert werden sollten. Quelles Staubsauger zogen in die ehemalige Kongresshalle; auf einem Bild ist eine Art Kopiermaschine unter einer Landkarte zu sehen und wer mag, kann darin eine neue, friedlichere Form der Expansion sehen. Mittlerweile ist in Nürnberg, das betont Meyer, ein Dokumentationszentrum eingerichtet worden, das an die Vergangenheit als „Führerstadt“ erinnert.

Nicht alle Bilder haben skurrilen Reiz. Einige sind erschreckend: Die Heimeligkeit des Einfamilienhauses mit den braunen Fensterläden, in dem die Wachmannschaft des KZ Ravensbrück untergebracht war, bevor dort eine Jugendherberge einzog. Die Komparsen in ihren gestreiften KZ-Häftlings-Anzügen vor dem Bunker Valentin bei Bremen, der als Theaterort genutzt wird.

Ein Bild fällt aus dem Rahmen, weil keinerlei Gebäude darauf zu erkennen ist: Man sieht ein Kind, dessen Gesicht halb verborgen ist, auf einer Schaukel. Es ist ein Kindergartenkind der „Lebenshilfe“, die in das ehemalige Jagdhaus Görings gezogen ist.

FRIEDERIKE GRÄFF

Ralf Meyer, Architektonische Nachhut im Hamburger Museum für Arbeit. Ein Buch gleichen Titels erscheint im Kerber Verlag.