uli hannemann, liebling der massen
: Die Lämmchen des Herrn

Vor der Columbiahalle warte ich in meinem Taxi auf das Konzertende des 1978 im Tempelhofer Ghetto als Sohn einer voll schwulen Nutte und eines echt krassen Spasten geborenen Hiphoppers Bushido. „Ihr Tunten werdet vergast“ lautet die wohl originellste Zeile aus seiner vorigen Platte – da bin ich doch mal gespannt, was für eine Klientel mich hier in Kürze erwartet.

Offenbar eine recht junge: Dieser Verdacht verdichtet sich beim Anblick der vielen an ihren Autos auf das Konzertende wartenden Eltern vor der Halle. Jegliche Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer ist von der Sorge um die eigenen Kampfküken überlagert. Es herrscht ein gewaltiges Chaos: Geparkt wird in zweiter, dritter, gar keiner Reihe – die Alten waren schließlich mal Punks. Vor mir scheucht ein Polizist eine Mutter mit Kleinwagen aus der Taxihalte – ihr Blick verrät ihre Gedanken: Ersetze „Tunten“ durch „Bullenschweine“ …

Man muss die Eltern verstehen. Sie sind ungeduldig, es ist schon spät, die Kleinen müssten eigentlich längst zu Hause sein. Aber noch stehen sie dicht an dicht in der Halle, vorne auf der Bühne der große Star, ein junger Mann, sympathisch, er lächelt, er lacht, Bushido. Ein harmloses Vergnügen – „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder“ –, und alle singen mit: „Ihr seid behindert, ich fick dich und deine Kinder, wenn du denkst, es wird nicht schlimmer, schlachten wir euch Toys wie Kinder.“ Was für ein großartiges Gemeinschaftserlebnis!

Gleich öffnen sich die Tore, und sie strömen heraus, aufgekratzt, mit roten Bäckchen und heiser geschrien vom lustigen Lied übers Tuntenvergasen im Park. Ganz schnell geht es dann nach Hause und ins Bett, denn morgen früh ist wieder Schule, Geschichte, Drittes Reich, tausendjähriges Tuntenvergasen. Papa brummt gutmütig: Um einem Strafmandat zu entgehen, ist er seit einer Stunde ohne Pause um den Block gekurvt. Zu Hause gibt es noch ein Glas Milch, dann Zähneputzen und ab ins Bett. Während ihm Mama die Decke liebevoll hochzieht bis unters Kinn, summt der Junge schon halb im Schlaf mit verträumter Stimme: „Ihr wollt Romantik. Ich ficke mit der Faust. Ich mag es, wenn du weinst, komm Nutte bounce!“

Ich selber lade drei Adoleszenten – zwei junge Männer und eine junge Frau. Für frisch aus einem Hiphop-Konzert Gekommene wirken sie geradezu steril. Im Auto riecht es weder nach Schweiß noch nach Alkohol. Stattdessen nach Nivea-Seife und Wohlerzogenheit. Schüchtern geben sie das Fahrtziel an, höflich schweigen sie während der Fahrt. Sie wirken fast fromm.

Ganz gewiss hämmert es in ihren Köpfen in einem fort „Keiner von euch Homos ist was wert, hier kannst du den Bordstein fressen, ich mach dich Spast kaputt“, doch man sieht es ihnen nicht an. Still sind sie, entrückt; ich suche einen Klassiksender. Wir erreichen eine Pension für anständige junge Leute. Das Mädchen lächelt mich an – es ist das milde und klare Lächeln einer Jungfrau – und gibt mir zehn Cent Trinkgeld. Die Lämmchen des Herrn bedanken sich artig. Sie sind reine Seelen und kommen vom Bushido-Konzert.

Da sieht man einmal mehr, dass das alles nur ein einziges grandioses Missverständnis ist. Stichwort Mitmenschlichkeit. Es kommt doch überhaupt nicht darauf an, was irgendjemand vor sich hin labert, wenn der Tag lang ist, sondern allein auf die Taten. Zum Beispiel, wie freundlich derjenige, ob nun Bushido oder Bruno Ganz, zu seiner Sekretärin ist. Genau das ist etwas, was ich einfach noch lernen muss. „Burn, du Schwuchtel, du Bitch!“, werden jetzt deshalb zu Recht wieder so ein paar Spezialisten einwenden, „das meint der Künstler doch alles total ironisch.“ Ich auch, liebe Spezialisten, ich doch auch!