Der Traum in Packpapier

STUDIEN IN FOLKMUSIK Frank Fairfield ist ein Mann, der sich mit seiner Geige und dem Banjo im Schellackzeitalter eingerichtet hat. Am Donnerstag spielte der kalifornische Musiker mit seinem Kompagnon Zac Solokow alte amerikanische Lieder im Monarch

Manche Kulturtechniken sind unwiederbringlich dahin. Dass zum Beispiel die Grammofonindustrie wirklich mausetot am Boden liegt, hat natürlich auch damit zu tun, dass die allerletzten Schellackplatten 1972 in Südafrika gepresst worden sein sollen und es seither eben an neuem Material fehlt, das man auf ein Grammofon legen könnte. Diese Dinger mit dem Schalltrichter, man muss es vielleicht erwähnen, waren der Vorläufer des Plattenspielers, der ja selbst etwas aus dem allgemeinen Gebrauch geraten ist.

Vorbei. Dahin. Es ist auch keineswegs zu erwarten, dass die Wirtschaft den Industriezweig mit den Schellackplatten wieder ins Repertoire nimmt, nur weil da einer wie Frank Fairfield sein Herz daran gehängt hat. Sein letztes Album hat er mit einem Cover versehen, das wenigstens in der Optik genau diese Packpapiertaschen nachstellt, in die einst die Schellackplatten eingetütet wurden. Überhaupt macht der Mann aus Kalifornien eine Oldtimermusik, er singt die alten Worksongs wie „Nine Pound Hammer“ und Outlaw-Balladen wie „John Hardy“, und diese Lieder des alten amerikanischen Folk hat Frank Fairfield mit seiner leicht schnarrenden Stimme auch so eingespielt, als würde er sie auf irgendeinem Baumwollfeld direkt einem der Lomax in den Aufnahmetrichter singen, dem Vater John oder dessen Sohn Alan, den beiden großen US-amerikanischen Folkloreforschern, die die alten Lieder auf ihren Recherchereisen durch die Vereinigten Staaten sammelten und damit für die Nachwelt sicherten.

Und Fairfield, selbst ein eifriger Schellackplattensammler, sorgt dafür, dass diese Lieder nun auch mal wieder raus aus dem Archiv und auf die Bühne kommen. Am Donnerstagabend spielte er im Monarch am Kottbusser Tor, im Rahmen der sich immer für feinen Folk und sonstige Seltsamkeiten interessierenden Konzertreihe mit dem hübschen Titel „Since the Devil Is Gone I Mostly Feel Lonely“.

Als Kompagnon hatte Fairfield Zac Solokow dabei, sie spielten Geige, Banjo und Gitarre. Nur ein Mikrofon war aufgestellt. Und wie sich die beiden dabei um das Mikro gruppierten, musste die Betrachter gleich an die entsprechenden Bilder von historischen Aufnahmesessions erinnern. Sie machten das im Monarch ja nicht, weil man sich nicht zwei Mikros hätte leisten können. Man arrangierte es so, wie es halt früher nicht anders gemacht werden konnte.

Alles, der Haarschnitt, Fairfields Schnauzbart, selbst, wie sie die Instrumente hielten, schien historischen Fotos abgeguckt, und dazu machten sie eine Musik, wie man sie noch zur Petroleumlampenzeit wohl in Texas oder sonst wo in den Staaten zum Tanz aufgespielt hätte, ohne jede Spur einer Modernisierung, weil ja diese Musik sich sowieso in jedem neuen Vortrag beim Livespiel, mit den Improvisationen und in den Nuancen, immer stets erneuert. Das Prinzip Folkmusik.

In einer Reinszenierung, natürlich. Ein Schauspiel auch und alles gar nicht mehr wahr.

So spielten sie ihre Musik, in der man dann auch ganz deutlich hörte in den Rhythmen, dass da wieder, wohl mit der großen Hungersnot, eine Einwanderungswelle aus Irland an den Strand der Vereinigten Staaten geschwappt sein muss. Und sie spielten ein paar Walzer.

Draußen sah man gleich nebenan die U-Bahnen, wie sie durch die Nacht fuhren. Im Monarch tanzten einzelne Pärchen zum Dreivierteltakt. Nicht mehr wahr, trotzdem da. Ganz unmittelbar.

Wenn man übrigens mal die Gelegenheit hat, so eine Schellackscheibenmusik auf dem Grammofon zu hören, sollte man das tun. Ist schon ein besonderes Erlebnis. THOMAS MAUCH