Großes für präsidiale Größe

WAHL IM OLYMPIASTADION

Großes aber hat nun mal die Eigenschaft, dass man es schlecht übersehen kann

Es klingt jetzt vielleicht blöd, aber: Auf die Größe kommt es an. Und das Berliner Olympiastadion ist groß. Sehr groß. Was auch heißt, dass da genug Platz ist für allerlei, demnächst wird dort wieder Hertha spielen, zuletzt fanden sich die Zeugen Jehovas zu einem Kongress im Stadion, und am 7. Juni dieses Jahres trat dort Mario Barth zu seinem Weltrekordversuch im Comedy-Sektor an. Binnen 24 Stunden wollte er draußen in Westend das größte Live-Publikum mit seinen Scherzen unterhalten haben. Er hat es geschafft.

An diesem 7. Juni war übrigens auch, etwas weiter weg, der Tag der Grundsteinlegung für ein recht ambitioniertes Projekt in Istanbul. Ein neuer Flughafen wird dort gebaut. Es soll der größte der Welt werden.

Großes aber hat nun mal die Eigenschaft, dass man es schlecht übersehen kann, und genau darauf hat man natürlich gesetzt, als man bei der erstmaligen Möglichkeit für Auslandstürken, an einer türkischen Wahl ohne umständliche Türkeireise teilzunehmen, in Berlin das Olympiastadion zum Platz für die Wahlurnen benannte. Seit Donnerstag und noch bis diesen Sonntag können Türken dort den neuen türkischen Präsidenten wählen. In Berlin sind das etwa 92.000 Wahlberechtigte, dazu kommen noch ein paar tausend aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, die gleichfalls in Berlin wählen gehen können. Also insgesamt etwa so viele Menschen, die tatsächlich auf einen Schlag ins Stadion passen würden – und die mit dem Olympiastadion in dieser Präsenz auch schlagkräftig ins Bild gebracht sind.

Da ist es dann egal, dass das eigentliche Prozedere weit weniger spektakulär abläuft, selbst die türkische Botschaft von einer „eher geringen“ Wahlbeteiligung ausgeht und dass die Urnen in den zu Wahllokalen umgerüsteten 51 VIP-Logen im Stadion bequem auch an einem intimeren Ort hätten untergebracht werden können.

Symbolpolitik folgt nicht den kleinkrämerischen Regeln schlichter Funktionalität. Kann man auch bei einem Schlossbau beobachten: Eine Tür täte es auch, um ins Gebäude zu kommen. Aber so ein prachtvolles Portal macht doch entschieden mehr her.

Und auch das noch, weiter aus dem Sprachschatz der Straßenweisheiten: Es kann nur einen geben! Nicht nur in Berlin wählen die Türken, sie machen es auch anderswo in Deutschland. Zum Beispiel in München. Wo ja gleichfalls ein Olympiastadion stehen würde. Dort aber hat man sich für eine schnöde Messehalle als Wahllokal entschieden. Auch in der Symbolpolitik muss darauf geachtet sein, es nicht zu übertreiben. THOMAS MAUCH