GUNTER GERLACH; FRIEDHOF DER BEZIEHUNGEN
: Verkehrsinseln, Wuh und die Wahrheit

Georg Händel hat eine eher ungünstige Schwäche für einen Krimiautoren: Er kann weder Blut noch Leichen sehen

Das Marketing mancher Verlage hat dem Regionalkrimi zu einiger Verbreitung verholfen – und zu einem zweifelhaften Ruf. Sind Regionalkrimis wirklich so provinziell? Das will diese Serie in loser Folge ergründen.

Dieser Krimi ist alles andere als provinziell. Und nicht etwa, weil er in der Großstadt spielt. Der in Hamburg lebende Autor und Deutscher Krimipreisträger Gunter Gerlach nutzt die Stadt mit ihrem dahinfließenden Verkehr, dem achtlosen Umgang der Menschen miteinander und den vielen gescheiterten Beziehungen nur als Rahmen, aber er verlässt sich nicht allein auf das Beschreiben von Orten und typischen Menschen, um die Leser über den Das-kenne-ich-Effekt bei der Stange zu halten.

Ganz im Gegenteil: Gerlachs „Friedhof der Beziehungen“ ist die Geschichte von Georg Händel, einem Kriminalautor, der immer auf der Suche nach ungeklärten Fällen ist, die er in einem seiner Romane aufklären kann. Händel bewegt sich beim Schreiben allerdings stets auf einem extrem schmalen Grad zwischen Fiktion und Wahrheit – so schmal, dass weder er selbst noch die Leser am Ende zwischen Erzählung und Wahrheit unterscheiden können. Dieses Verwirrspiel mit den Erzählebenen macht den Reiz von Gerlachs Krimi aus und hebt ihn weit von den vielen Regionalkrimis ab, die so oft nach dem immer gleichen Schema Mord-Ermittler-Aufklärung funktionieren.

Händel hat eine eher ungünstige Schwäche für einen Krimiautoren: Er kann weder Blut noch Leichen sehen. Und Krimis mag er eigentlich auch nicht. Gerade musste er schweren Herzens seine Heimatstadt Hamburg verlassen und vorübergehend nach Berlin übersiedeln, als er beauftragt wird, den Mörder einer jungen Frau zu finden. Bei seinen Recherchen stößt er auf den Freund des Opfers, der sich mit dem rosa Mantel seiner toten Freundin in seine dunkle Wohnung zurückgezogen hat. Wurde die Freundin Opfer des Serienmörders, der seine weiblichen Opfer auf Fußgängerinseln begräbt? Und was hat der „Friedhof der Beziehungen“ mit den Morden zu tun? Auf diesem Friedhof von Herrn Wuh, dem „Wesen unbekannter Herkunft“, kann man alle Erinnerungen an eine gescheiterte Beziehung beerdigen lassen. Händel wird nicht schlau aus Herrn Wuh, und auch die Rolle der Journalistin Sabine Weber, die am gleichen Fall arbeitet wie er, bleibt unklar. Er weiß nur, dass er sich extra für Sabine, deren Lachen wie das „Mäh“ eines Schafes klingt, neue Sessel für seine Wohnung kauft, weil seine Beine in den alten Sesseln zu kurz aussehen und sein Oberkörper zu unförmig wirkt.

„Friedhof der Beziehungen“ ist eine schräge Mischung aus Mörderjagd und Kurzgeschichten, denn jede noch so kleine Figur wird lebendig. Zum Beispiel der alte Mann, der auf der Verkehrsinsel festhängt, weil er es in einer Ampelphase nicht auf die andere Straßenseite schafft oder der Angestellte, der den alten Mann beobachtet, aber einfach keine Zeit findet, ihm zu helfen. Ein wenig erinnert Gerlachs Stil hier an Wolf Haas und seinen Detektiv Simon Brenner. Ein wunderbares Buch. ILKA KREUTZTRÄGER

Gunter Gerlach, Friedhof der Beziehungen, Ars Vivendi, 176 S., 14,90 Euro