NACH DER NOTAUFNAHME
: Staubiger Mund

Du, wir haben jetzt Gruppe

Als ich den Frühstücksraum betrat, saß da schon einer. Ich hätte ihn kennen können. Er arbeitete für den bezirklichen Kulturbetrieb und war in der Nacht gekommen. In der Notaufnahme bestand er eigentlich darauf, in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen zu werden. Ich bin gefährlich, hatte er immer wieder erklärt: Ich habe meine Freundin am Telefon bedroht, eine Tür eingetreten und zwei Flaschen Rotwein getrunken.

Sie brachten ihn auf Station und zeigten ihm eins der Zimmer mit diesen Betten mit Schnallen dran. Dann einen Raum, in dem Stühle im Kreis angeordnet waren. Davon stellten sie einen in die Mitte und baten ihn Platz zu nehmen. Die Ärzte setzten sich um ihn herum. Schräg hinter ihm ein kräftiger Pfleger in Blau. Er hatte kaum Zeit, die Fragen zu beantworten, die mal von hinten, mal von rechts vorn, mal von links auf ihn niedergingen, während der Pfleger seine Tasche trat. Erst sanft, dann etwas stärker. Irgendwann bat er ihn in scharfem Ton, seine Tasche nicht zu treten. Richtig gefährlich fanden sie ihn dann nicht.

Ein Typ, der gleichzeitig wie achtzehn und wie vierzig aussah, hieß mich im Frühstücksraum willkommen und grinste. Mein Mund war von dem Käsebrötchen ganz staubig. Ich drehte mir eine Zigarette und nahm meinen kalten Kaffee. Der Achtzehnundvierzigjährige begleitete mich. Am Hafen saßen die, die sich hier auf länger eingerichtet hatten. Die Märzsonne wärmte unsere kalten Nasen, während wir plauderten und Rauch in die Luft bliesen. Ich verstand nicht, was er machte. Projekte. Die letzte Line hatte er vor drei Tagen an der Treppe zur Notaufnahme genommen und heute Nachmittag würde er sein Kind beerdigen.

Wir schwiegen eine Weile und die Schwäne versammelten sich vor uns. Dann grinste er wieder und sagte in sanften Ton: Du, wir haben jetzt Gruppe.

ANTONIA HERRSCHER