Ein braver Soldat namens Schlump

FRONT Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg, Liebes- und Schelmenroman: Gut, dass Hans Herrmann Grimms Buch „Schlump“ wiederentdeckt wurde

Gerade hat man die ersten beiden Seiten hinter sich gebracht, da stellt sich schon das Gefühl ein: Dieses Buch muss ich unbedingt lesen. Denn da wird man mit diesen einfachen, naiven Sätzen in die Gedankenwelt des seltsamen jungen Mannes geführt, der auf den Namen Schlump hört.

Mit einer Szene im Tanzsaal beginnt die Erzählung, die zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielt. Dort bläst die Musik „ein Trara“, und der gerade 16-jährige Schlump, der eigentlich Emil Schulz heißt, aber wegen eines Versprechers sein Leben lang auf diesen Spitznamen festgelegt ist, trifft im Verlauf des Abends die hübsche Johanna.

Der Erzähler resümiert: „Er fühlte sich unglaublich glücklich und war überzeugt, dass es etwas Schöneres als die Mädchen auf der Welt nicht geben konnte. Nach ein paar Tagen hatte er die Johanna vergessen. Die Jugend ist verschwenderisch, sie lebt im Paradies und merkt es nicht, wenn ihr das leibhaftige Glück begegnet.“

Märchenhaft klingende Sätze sind dies. Dabei ist diese Erzählweise zunächst irritierend, denn „Schlump“ ist ein Roman über den Krieg. Er erschien zeitgleich mit Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“; die Erzählung spielt über weite Strecken in den Schützengräben in Frankreich. Der von Hans Herbert Grimm, einem thüringischen Lehrer, verfasste Roman erschien erstmals 1928 im Kurt Wolff Verlag. Er fand damals wenig Beachtung. Nun hat Kiepenheuer & Witsch den Titel neu aufgelegt, nachdem der Literaturkritiker Volker Weidermann die Erzählung bereits 2008 in seinem „Buch der verbrannten Bücher“ wiederentdeckte. Ursprünglich hatte Grimm den Roman anonym publiziert.

Die Geschichte ist die des jungen, in den Krieg ziehenden Schlump, der im nordfranzösischen Loffrande landet und aufgrund seiner Sprachkenntnisse sofort die Bezirksverwaltung übernimmt. Schlump kommt als lustiger, kleiner, unerfahrener Verwalter daher, der in den Krieg geschmissen wird und der Situation nicht immer gewachsen ist – vom Elend des Krieges ist in diesem ersten Teil kaum die Rede.

Das ändert sich, als er zur Front geschickt wird, Verwundungen erleidet und die krepierenden Menschen um sich herum sieht. Der Märchenduktus der Erzählung aber bleibt. Im Schützengraben liegend, schildert der Erzähler Schlumps Kriegserfahrungen so: „Er regte sich auf und war zum ersten Mal in seinem Leben unglücklich.“ Und, wenig später: „Schlump war schrecklich enttäuscht von diesem Krieg.“ Im weiteren Verlauf sind vor allem die Szenen in den Lazaretten und die Ausflüchte in Träume und Schlumps Gedankenwelt zentral. Die reale wie erträumte Ausflucht aus dem Krieg ist für Schlump: die Liebe.

Eine große Stärke des Romans ist der Wechsel zwischen der Rahmenerzählung und den vielen Binnenerzählungen, die manchmal wie Fabeln eingestreut werden. Mal erscheinen sie als Hoffnungsschimmer, mal als philosophische Ebene, mit der der Autor den Krieg zu ergründen sucht. In einer Wechselstube wird Schlump über die Verlogenheit des Menschen aufgeklärt („Wisse, dass alle Menschen erbärmlich sind“), ein Philosoph namens Gack verteidigt den Krieg („Aber wisse: Nur aus dem Leid wird Großes geboren“) und beerdigt das Individuum.

Eine weitere Stärke ist die Sprache, sie lässt den Geist der Zeit spürbar werden. Nachdem Schlump in Loffrande gestrandet ist, heißt es etwa: „Dann stand er allein in der Kommandantur, und es wurde ihm ein wenig angst.“ Die vielen lautmalerischen Ausdrücke – „Dschinn!“, „Huiii-iu, huiii-iu!“ – geben hingegen das Kriegsgeschehen gut wieder.

„Schlump“ changiert zwischen Kriegstagebuch, Liebes- und Schelmenroman. Der Untertitel lautet „Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt ‚Schlump‘. Erzählt von ihm selbst“. Nicht nur das verweist auf Grimmelshausens Simplicissimus. Durch die naive Erzählweise, die den Roman durchzieht, und den Wechsel mit knallharten Szenen aus dem Krieg unterscheidet sich Grimms Roman deutlich von Erzählungen wie jenen von Remarque oder Edlef Köppen („Heeresbericht“). Am ehesten ist er mit Jaroslav Haseks „Der brave Soldat Schweijk“ zu vergleichen. Und das ist ja nicht die schlechteste Referenz. JENS UTHOFF

Hans Herbert Grimm: „Schlump“. Kiepenheuer & Witsch,

Köln 2014,

347 Seiten,

19,99 Euro