Ein moralischer Imperativ?

KRIEG GEGEN GAZA „Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritik“, schreibt taz-Autor Deniz Yücel. Schon gar nicht für Deutsche. Kritik an Israel schlüge schnell in „blanken Antisemitismus“ um, meint taz-Autorin Cristina Nord. Und was sagen die Leserinnen und Leser?

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz vom 31. 7. 14

Selten hat mich eine Stellungnahme so entrüstet wie diese. Vor zwei Tagen stand ich in Berlin in der Gedenkstätte für die ermordeten Juden Europas und wie jedes Mal fühlte ich das Grauen, die Unvorstellbarkeit eines der größten Verbrechen der jüngeren Geschichte. Und ich fühlte die Verantwortung, die zentrale Botschaft der Ausstellung in Ehren zu halten und niemals untergehen zu lassen: „Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen.“ Dennoch ist mir schlicht unvorstellbar aus der Geschichte ein Sprechverbot, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit in Bezug auf die Kritik an israelischer Politik abzuleiten.

Der Autor macht in meinen Augen mehrere Fehler: Es ist erstens nicht korrekt von antisemitisch zu sprechen, wenn antiisraelisch gemeint ist. Es ist zweitens Israel nicht gleichzusetzen mit Juden. Weder leben in Israel ausschließlich Juden, noch kann man einen Staat mit einer Religion gleichsetzen. Und schließlich verurteilt der Autor in seiner Stellungnahme alle Deutschen jeder Generation dazu, stets einen Maulkorb zu tragen, wenn es um israelische Politik geht, einfach deshalb, weil sie Deutsche sind. Das aber bedeutet ein Stehenbleiben, unbeweglich in der gefühlten Verantwortung der Geschichte. Die Geschichte lehrt uns nicht, niemals gegen Israel zu sprechen, sie lehrt uns, kritisch zu hinterfragen, ob hier gegen Israel gesprochen wird oder gegen „die Juden“, und sie lehrt uns, niemals wieder ein Verbrechen wie den Holocaust zuzulassen. Dazu aber braucht es in meinen Augen eine aufgeklärte Gesellschaft, in der die Erinnerung mahnt, statt Maulkörbe zu verhängen. SWANTJE BÖTTCHER, Wolfsburg

■ betr.: „Humanitäre Feuerpause gebrochen“, taz.de vom 1. 8. 14

Tunnel haben ja wohl nicht nur einen Eingang. Also warum werden nicht die Ausgänge gesucht und zerstört, ohne dabei Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen in Schutt und Asche zu legen? Man stelle sich mal vor, die DDR hätte die Randbezirke von Westberlin bombardiert, wegen der Spionage und Fluchttunnel, von denen auch Terroranschläge auf die Wirtschaft der DDR ausgeführt wurden. Stattdessen haben die Grenzorgane der DDR die Ausgänge gesucht und verschlossen. Nur so mal zum Nachdenken, wo Eskalation hinführt. In dem von mir geschilderten Szenario wäre es wahrscheinlich der letzte große Krieg gewesen. JENS NEHRKORN, taz.de

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz vom 31. 7. 14

Wollte Deniz Yücel mal wieder provozieren oder ist das wirklich seine Meinung? Als Deutscher traut man sich ja noch nicht einmal, vorsichtig Kritik an der Regierungspolitik Israels zu äußern, weil dann wieder die Antisemitismuskeule über dich geschwungen wird. Noch lassen wir Älteren uns damit einschüchtern, aber die jüngeren Generationen werden das bald nicht mehr tun. Der Holocaust war das schlimmste Verbrechen der Menschheit und es ist gut, dass wir immer daran denken werden und gegen Antisemitismus vorgehen. Aber nichts gegen das Unrecht und die Kriegsverbrechen Israels sagen zu dürfen? Nein! KLAUS FRANKE

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz vom 31. 7. 14

Doch, du musst! Es gibt kein Menschenrecht auf Kritik an Israel (oder „Israelkritik“ wie Yücel es nennt), es gibt aber auch keine Maulhaltesonderpflicht und Kadavergehorsamspflicht für Deutsche. Wegsehen und sich auch noch gut dabei fühlen, zu Unrecht zu schweigen, ist falsch und feige und führt auf lange Sicht ins Desaster; das sollten gerade Deutsche wissen. Die jetzige katastrophale Lage ist genau dadurch entstanden, dass auf der politischen Bühne und in der Öffentlichkeit zu viel geschwiegen und weggesehen wird. Wo ist der Staat Palästina, an dem „Palästinakritik“ geübt werden könnte – eine Disziplin, die Yücel gern erfunden sehen würde? Noch gar nicht gemerkt, dass es ihn gar nicht gibt? Noch nicht gemerkt, dass die von ihm zur Kritik berechtigten linken Israelis und jüdischen Linken außerhalb Israels, zum Beispiel die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden (www.juedische-stimme.de), Yoav Bar von Free Haifa (freehaifa.wordpress.com) und viele andere zusammenarbeiten mit den von ihm moralisch für immer zum Schweigen verpflichteten Deutschen? Besser wäre es, einen Blick über den Tellerrand zu wagen, anstatt Schweigeregeln aufzustellen! MANUELA KUNKEL, Stuttgart

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz.de vom 30. 7. 14

Wenn wir Deutsche Israel nicht kritisieren dürfen (egal, wie es sich als Besatzungs- und Kriegsmacht aufführt), wäre es dann nicht besser, wenn wir über die Behandlung der Palästinenser durch Israel in unseren Medien nichts lesen würden? Also sollte man nicht in Deutschland eine diesbezügliche totale Nachrichtensperre einführen? Ob Deniz Yücel dem zustimmen könnte? Oder ist er vielleicht der Meinung, wir Deutschen müssten die Grausamkeiten der israelischen Besatzung und der israelischen Kriege besonders detailliert und realistisch mitgeteilt bekommen und hätten natürlich trotzdem absolut zu schweigen?

BERNADO, taz.de

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz.de vom 30. 7. 14

Ich denke, ein für Deutsche gangbarer Weg wäre, Solidarität zu bekunden für die immer weniger werdenden, aber immer noch vorhandenen Israelis, die gegen die israelische Politik gegen Palästinenser, gegen Rassismus im Land, Krieg und Völkermord und für ernsthafte Friedensbemühungen kämpfen und dafür immer häufiger massiv bedroht und von radikalen Israelis verprügelt werden. Zufrieden Deniz Yücel? BERNHARD MEYER, taz.de

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz.de vom 30. 7. 14

Hey, freie Meinungsäußerung! Können wir hier machen, können Menschen in Israel machen, können andere in der Region nicht. Das ist nicht die Schuld der Bevölkerung, sehr wohl aber der dortigen Machthaber wie Hamas. BESTSCHASTNYCH, taz.de

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz.de vom 30. 7. 14

Der grundlegende Denkfehler der Antideutschen ist es, Konflikte der Gegenwart in das Rechts-links-Schema der Weimarer Republik einordnen zu wollen. Heute geht es aber nicht darum, Juden vor den Nazis zu schützen. Feindbild der Rechten sind inzwischen islamische Migranten, und Netanjahu wird auf rechtsextremen und islamophoben Webseiten wie PI-News oder Achse des Guten gefeiert. Nach Jahrzehnten einseitiger deutscher Nahostpolitik gibt es inzwischen eine historische deutsche Mitschuld an dem, was mit den Palästinensern geschieht und am Scheitern aller Friedensinitiativen der letzten 20 Jahre. Aber die Gegenwart scheint den Autor ohnehin nicht zu interessieren: Die Worte „Besatzung“ und „Abriegelung“ kommen gar nicht erst vor, dafür aber natürlich „Antisemitismus“ der Hamas. LENNING KÖSTLER, taz.de

■ betr.: „Nein, du darfst nicht“, taz vom 31. 7. 14

Lieber Deniz Yücel, oh doch, ich darf. Nach Deiner Logik, hätte ich auch – wäre ich denn zugegen gewesen – als Deutscher den palästinensischen Jugendlichen Mohamed Abu Khdeir nicht mit Gewalt gegen seine – inzwischen geständigen – Mörder verteidigen dürfen, da diese eben Juden sind. Wenn ich jedoch die israelische Politik kritisiere, sollte ich mich davor hüten, mich auf Falschinformationen zu berufen, in Selbstgerechtigkeit zu verfallen, einseitig Pauschalurteile zu fällen oder sonst wie den – bei vielen „IsraelkritikerInnen“ durchaus naheliegenden – Eindruck erwecken, ich wolle mit meiner Kritik mich von Auschwitz entlasten, indem ich lauthals „die Juden“ oder „die Zionisten“ anklage. Das immer wieder zitierte Bonmot des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rex, „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“, ist jedenfalls nach wie vor aktuell, und jede/jeder Deutsche, die/der Kritik an Israel und seiner Politik übt, sollte sich ehrlich über ihre/seine Motive klar werden.

Israel trägt ein gerüttelt Maß Verantwortung für die verfahrene Situation im Nahen Osten, aber weiß Gott nicht die Alleinschuld. Und hier hast Du – wie so oft – recht, lieber Deniz Yücel: Israels Politik und Militär kann man nicht guten Gewissens mit einer fanatischen faschistoiden Mörderbande wie der Hamas gleichsetzen – allerdings: Wie viele Zivilpersonen hat die Hamas, wie viele die israelische Armee in den letzten Wochen getötet? Und sind die Opfer der einen Seite mehr wert als die der anderen? VOLKER SCHEUNERT, Hamburg

■ betr.: „Einige enge Freunde“, taz vom 31. 7. 14

Cristina Nord ist eine tolle Journalistin. Gleich, ob sie sich kritisch mit dem Potosi-Prinzip beschäftigt, ob sie Filmrezensionen zu „Soul Kitchen“ schreibt oder sich als Redakteurin der taz zu Gesellschaft, Kultur und Medien äußert, immer hinterlässt sie bleibenden Eindruck. Doch nun hat sie eine Art Kommentar verfasst, nach dessen Lektüre man an ihrem politischen und moralischen Einschätzungsvermögen zweifelt. Heftig empört sie sich über einen Schauspieler, der sich über den Krieg einer Besatzungsmacht empört, in dem Krankenhäuser, Rettungswagen und Kinder Zielscheiben sind. Doch ihre Formulierungen sind viel zu drastisch, als dass man darin noch eine berechtigte Kritik an Javier Bardems Kritik und öffentlicher Stellungnahme erkennen könnte. Nord spricht von der Bedrohung, die durch eine Gruppe in dem besetzten Land ausgehe, und dass diese das Existenzrecht des Besatzungslandes negiere. Mit keinem Wort erwähnt sie, dass es stimmt, dass jenes kriegführende Land das Land ist, das am meisten gegen UN-Resolutionen verstößt und am wenigsten die Menschenrechte achtet, dass es „eine Besatzungsmacht ist, die staatsterroristische Praktiken verübt“. Gegen etwaige Antirationalismusvorwürfe nimmt sie sich in Schutz, indem sie darauf hinweist, dass es schon andere gegeben habe, die erkannt hätten, wie die Rhetorik solcher Faktensätze zu verstehen sei, nämlich immer anders als sie intendiert seien: Sie markierten nicht sprachlich ein Faktum, sondern sie schafften Fakten durch Sprache. Freunde hat Cristina Nord auch unter den taz-Mitarbeitern, die sie bei dem Druck und der publizistischen Verteilung ihres Kommentars unterstützen. Sieht ganz so aus, als fehlte es an einer reflektierten Diskussion darüber, wie schnell Kritik an der Kritik an der Politik einer Besatzungsmacht in blanken Antirationalismus umschlägt. Von Journalistinnen der taz, die solche übermäßigen Erblasten des Irrationalismus so oft und so spielerisch verhohnepiepelt haben, wünscht man sich, dass sie für die antirationalistischen Anteile dieses Erbes sensibel wären.

REINHOLD VIEHOFF, Remagen

■ betr.: „Einige enge Freunde“, taz vom 31. 7. 14

Wenn Cristina Nord meint, die Kritik von Javier Bardem am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza uns als Antisemitismus erklären zu wollen, dann reicht es nicht aus, auf das spanische Original im Internet zu verweisen. Das von Nord aus dem Brief Herausgefilterte ist allerdings gerade nicht zu kritisieren. Denn mit Recht empört sich Bardem über das gnadenlose Vorgehen des israelischen Militärs. Das kann man gar nicht drastisch genug formulieren und es müsste noch viel lauter geschehen. Wenn Nord beklagt, dass Bardem die Hamas mit keinem Wort erwähnt, dann beklage ich, dass sie mit keinem Wort das Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern seit 1948 erwähnt. Sieht also ganz so aus, dass es Nord an einer reflektierten Betrachtung fehlt, wenn sie Kritik an der Politik Israels als blanken Antisemitismus bezeichnet. Kritik an Israel negiert in keiner Weise die Bedrohung, die von der Hamas für Israel ausgeht. JÜRGEN REITH, Neuss

■ betr.: „Einige enge Freunde“, taz vom 31. 7. 14

Ja, Frau Nord, die mangelnde Differenzierung und Sensibilität des Verfassers Javier Bardem und der Unterzeichner ist sehr bedauerlich. Genauso bedauerlich ist es aber auch, dass Sie nicht in der Lage sind, zwischen radikaler Kritik an der israelischen Kriegs-, Besatzungs- und Verteibungspolitik und Antisemitismus unterscheiden zu können. Selbst unbändiger Hass auf die politischen Entscheider, Militärs und die gehorsamen Soldaten Israels darf nicht notwendigerweise mit Antisemitismus gleichgesetzt werden.

Israels Regierung ist wie jede andere Regierung elitärer (westlicher) Länder auch: machtversessen, brutal, korrupt und durch und durch interessengeleitet. Ihrer Logik folgend, Frau Nord, ist jeder, der die Regierung eines Landes verachtet, gleichzeitig auch Verächter des gesamten Volkes. Dass das in den meisten Fällen nicht zutrifft, sollte selbst Ihnen einleuchten.

TEIP HAUSEN, taz.de