Das zweitklassige Kapital

FUSSBALL Am Wochenende startet die Zweite Liga in ihre neue Saison. Bald könnten alle Klubs zu Kapitalgesellschaften werden. Die Rechtsform Verein hat kaum eine Zukunft

VON HERMANNUS PFEIFFER

Zu Beginn der Zweiten Liga beflügelt ausnahmsweise nicht Aufsteiger RB Leipzig den alten Streit über Geschäftemacherei im Fußball. Vielmehr tut dies der etwas andere Verein FC St. Pauli. Dessen Aufsichtsrat schasste den vornehmlich wirtschaftlich erfolgreichen Vorstand um Stefan Orth und begründete dies gestelzt mit einem sich „absehbar weiter kommerzialisierenden Fußballumfeld“. Dem neuen Mann an der Spitze, Musikunternehmer und Ex-taz-Redakteur Oke Göttlich, traut der Aufsichtsrat eher zu, mit einer möglichen Ausgliederung der Profiabteilung fertigzuwerden, ohne die Werte der St.-Pauli-Anhänger zu verraten. Mittelfristig, befürchtet der Aufsichtsrat, könne es eine Verfügung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) geben, wonach alle Bundesligavereine in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden müssen.

Einige Zweitligaklubs tun dies bereits freiwillig. In der kommenden Saison werden fünf Kapitalgesellschaften aus Braunschweig und Frankfurt, Fürth, Ingolstadt und München gegen 13 Vereine antreten. Faktisch kommt als sechste Fußballfirma die Leipziger Niederlassung des österreichischen Getränkekonzerns Red Bull GmbH aus Fuschl am See hinzu.

Noch bis zur Saison 1998/99 hatten sämtliche Erst- und Zweitligisten die Rechtsform des Vereins. „Die wirtschaftliche Entwicklung machte die Möglichkeit zur Umwandlung der Vereine in Kapitalgesellschaften erforderlich“, analysierte Jörn Quitzau im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung. 1998 beschloss der DFB-Bundestag, dass künftig auch Kapitalgesellschaften am Spielbetrieb teilnehmen dürfen. In der kommenden Spielzeit werden 13 Erstligaklubs als Kapitalgesellschaft antreten – Vereine sind zu Außenseitern geworden.

In der obersten Spielklasse tummeln sich deutlich mehr Kapitalisten als im Unterhaus. Schießt Geld also Tore? Gewiss. Allerdings stammt das Geld der Fußballklubs vor allem aus den Fernsehrechten. So wird die DFL an den FC St. Pauli kommende Saison mindestens acht Millionen Euro aus dem TV-Topf überweisen. Kaum weniger wird aus den Zuschauereinnahmen fließen; die drittwichtigste Einnahmequelle sind Werbung etwa auf Trikots und der Verkauf von Marketingrechten für Toaster, Sekt und Zahnbürsten.

In Deutschland, da sind sich Sportökonomen ziemlich einig, spielt die Gesellschaftsform finanziell noch eine untergeordnete Rolle. Auch weil bis auf die „Heuschrecke“ KKR bei Hertha BSC Berlin keine Investoren am Werk sind, die aus dem eigentlichen Fußballumsatz Profit schlagen wollen. Die Bayer AG und Volkswagen oder Audi beim Zweitligisten FC Ingolstadt 04 Fußball GmbH setzen dagegen „nur“ auf den Werbeeffekt ihrer Beteiligungen. Und Mäzenen wie Helmut Hack geht es ums private Hobby, das sie sich allerdings etwas kosten lassen. Hack präsidiert dem Absteiger Spielvereinigung Greuther Fürth GmbH & Co. KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien).

Der Ökonom Henning Vöpel warnt jedoch vor einer Unterschätzung der kapitalen Ausgliederung der Profiabteilung: Der Sportexperte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) wirft vielen Vorständen vor, die langfristigen Nachteile zu ignorieren und nur die „kurzfristigen Vorteile“ auch für sich zu sehen – etwa die größere operative Unabhängigkeit von der oft lästigen Mitgliedermitbestimmung. Auch die Begrenzung finanzieller Risiken für den Verein hinter der Kapitalgesellschaft oder der Zugang zu anderen Finanzierungsformen könne nur bedingt als nachhaltig gelten. Was passiert beispielsweise, wenn ein Investor wie der jordanische Geschäftsmann Hasan Ismaik plötzlich bei der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA aussteigt?

Ohnehin haben auch schon klassische Vereine wie der FC St. Pauli millionenschwere (Fan-)Anleihen aufgenommen. Zudem können solide geführte Klubs in der Boombranche Fußball unschwer Kredite von Banken und Sparkassen kriegen. Bei einer Kapitalisierung droht dagegen ein Imageschaden nach innen und außen: Der unweigerlich mit einer Ausgliederung aus dem Verein verbundene Demokratieabbau – Ausnahme wäre eine Genossenschaft – verärgert gerade die aktivsten Fans. So beim Hamburger SV, der erst in der Relegation der Zweitklassigkeit entgangen ist und kürzlich seine Fußballabteilung in eine Aktiengesellschaft umwandelte. Lokal verankerte Vereine wie Erzgebirge Aue oder bundesweite „Marken“ wie St. Pauli könnten durch ein Outsourcing schnell an Renommee und damit an (Werbe-)Einnahmen verlieren.

Trotzdem, sagt Vöpel der taz, ist die Umwandlung in Kapitalgesellschaften „ein Trend, der sich selbst verstärkt, je mehr Vereine diesen Schritt gehen“. Ein vertrautes Bild etwa aus dem Radsport: Das Dopen des einen zieht das Dopen des anderen nach sich – um wieder Wettbewerbsgleichheit herzustellen.

Eine Zwangsauflage zur Kapitalgesellschaft durch den Ligaverband, wie ihn der FC St. Pauli fürchtet, dementiert ein DFL-Sprecher jedoch auf Anfrage: „Nein, es gibt keine Bestrebungen.“ Welche Gesellschaftsform die Klubs wählten, sei grundsätzlich deren Sache. Henning Vöpel erwartet jedoch eine ganz andere Initiative: Ein fairer Wettbewerb zwischen Vereinen und Kapitalgesellschaften ließe sich nur durch eine strengere Regulierung seitens der DFL stoppen.