Flüchtige Engel

Mit Anfang 30 ist er längst eine Indierock-Legende. Heute Abend stellt Ex-„The Van Pelt“-Sänger Chris Leo das zweite Album seines neuen Projekts „Vague Angels“ im Hafenklang vor: „Let’s Duke It Out At Kilkenny Katz’“

Do, 15. 2., 22 Uhr, Hafenklang-Exil, Große Bergstraße 178

Chris Leo kann es ruhig angehen lassen. Wie seine Brüder Ted – der sich zusammen mit seiner Band, den „Pharmacists“, mit mittlerweile fünf Alben eine treue Fangemeinde erspielt hat – und Danny – der als „The Holy Childhood“ seine Songs unters Volk bringt – hat er sich seinen Platz in den Annalen des Indie-Undergrounds mit Anfang 30 längst verdient. Schon mit seiner ersten Band „Native Nod“ ist Leo Anfang der 90er maßgeblich an der Herausbildung dessen beteiligt, was später als Emo-Hardcore bekannt werden sollte: melodische, langsamere Parts vorzugsweise mit Sprechgesang wechseln sich mit schnelleren und lauteren Parts nebst halb geschrienem Gefühlsausbruch ab.

Richtig erfolgreich wird das dann bei der Indierock-Band „The Van Pelt“, die Chris Leo 1993 mit Brian Maryansky, seiner Freundin Toko Yasuda – die vorher kurz bei den Underground-Heroen „Blonde Redhead“ spielte, allerdings bevor diese Platten aufnahmen – und Neil O’Brian gründet. Insbesondere deren zweites Album „Sultans of Sentiment“ beeindruckt die Indierockszene maßgeblich. Vor allem, weil den New Yorkern eine ungewöhnlich atmosphärische Platte mit ganz eigenem Klang gelungen ist, vergleichbar vielleicht mit „Slint“s „Spiderland“. Und nicht zuletzt wegen Chris Leos bisweilen kryptischen Texten. Wer denkt nicht bis heute über „Nanzen Kills A Cat“ nach?

Nach „Sultans of Sentiment“ lösen sich „The Van Pelt“ aber wieder auf und das Paar Yasuda/Leo macht als „The Lapse“ weiter. Zunächst nörgeliger, nervöser und kratzbürstiger, dann wieder etwas versöhnlicher. Doch irgendwann klappt die Songwriter-Ehe nicht mehr und man geht getrennte Wege. Yasuda dekonstruiert heute bei „Enon“ die Rockmusik, Chris Leo versucht zunächst als „The Lapse“ weiterzumachen.

Dann allerdings scheint er das Medium zu wechseln. Im kleinen Independent-Verlag „Fifth Planet Press“ erscheint „White Pigeons“, ein Buch über die inneren Monologe und Heldentaten eines großspurigen Rockstars. Statt eines siebten Kapitels findet sich dann aber eine CD: Das Album „Truth Love“ der fiktiven Band „The Breaks“, gespielt allerdings von den „Vague Angels“. Auf der folgenden Tour dann entpuppt sich „Vague Angels“ als wirklicher Name von Chris Leos neuem Projekt. Eigentlich ein Soloprojekt, unterstützt von Freundinnen und Freunden. Leo liest und spielt neue und alte Songs zur Gitarre.

Mit „57 Octaves Below the Middle C Buzzed by the Bee (or Really) How I Lost This Place“ ist nun Leos zweite Novelle erschienen, illustriert von Marcellus Hall, dem ehemaligen Sänger und Gitarristen von „Railroad Jerk“. Eine Reise in die Kunst improvisierter Komposition und zugleich der Versuch einer Geschichte gewissermaßen im Raum zwischen den Wörtern. Und eine Liebeserklärung an New York, die die Stadt mit anderen Augen sehen lässt.

Auch musikalisch gibt es wieder Neues zu hören. Seit März ist „Let’s Duke It Out At Kilkenny Katz’“ die „echte“ Debütplatte der „Vague Angels“. Textlich gibt es wieder „a lot of pretty heady stuff“, wie das Deli Magazine ganz richtig formuliert. Gekoppelt allerdings an klare und unmittelbare poetische Bilder und die deutliche Ambition, ein narratives Album zu machen, statt den Formalismus des Pop-Songs zu konservieren. Und obwohl Leo tatkräftige Unterstützung an Schlagzeug, Keyboards und Bass erhält und „Vague Angels“ bisweilen fast klingen wie eine Band, ist „Kilkenny Katz’“ wie keine Platte zuvor auf Chris Leos Gitarre, seine Erzählung und seinen unvergleichlich eindringlichen Sprechgesang reduziert.ROBERT MATTHIES