Der „nützliche Idiot“

betr.: „Generation Praktikum“, taz vom 2. 2. 07

Ihr Beitrag hat mir als 53-jährigem Langzeitarbeitslosen sehr gefallen. Wenn Sie in Ihrer klaren Sprache Praktikanten dazu auffordern, Praktikantsein nicht zu akzeptieren, sondern „einfach nicht hinzugehen“, so ist das überzeugend und wirklich die einzige Möglichkeit, dieser ausbeuterischen Praxis Einhalt zu gebieten.

Zuletzt in einer RBM (Regionale Beschäftigungsmaßnahme in Berlin) beschäftigt, habe ich bei meinem neunmonatigen Einsatz in einem Altenpflegeheim bei der Diakonie festgestellt, dass es dort bis zu 20 kostenlose Arbeitskräfte gleichzeitig im Haus gibt, die als 1-Euro-Jobber, Praktikanten (meist keine Schüler mehr), RBMer usw. kostenlos Dienste verrichten, die gar nicht so zusätzlich sind, sondern auch mal als volle Kräfte in Dienstplänen auftauchen (z. B. bei der Essensausgabe auf den Stationen und in der Küche). Die Diakonie arbeitet so konkurrenzlos günstig.

Sie ist auch gar nicht bereit, einen von uns einzustellen, selbst wenn sie sich nur mit 25 % an den Lohnkosten beteiligen soll (es gibt jetzt viele attraktive Fördermöglichkeiten bei Neueinstellungen). Als ich meinen Einsatz dort beendete, hat man mir im Abschiedsgespräch einen Praktikumsplatz angeboten (mit 53 und einer langen Arbeitserfahrung als Rechtsanwaltsgehilfin). Ich habe meinen Ärger darüber nicht gezeigt, vielleicht auch deshalb nicht, weil zeitgleich meine beiden Kollegen bereit waren, ganz und gar kostenlos – es gibt nicht mal ein Gratis-Mittagessen für sie – nach zwei Jahren Tätigkeit dort als Praktikanten weiterzuarbeiten. Ihre Begründung hierfür: Ihnen fiele zu Hause die Decke auf den Kopf. Ein kritisches Bewusstsein habe ich bei niemandem entdecken können, auch keine Wut über die unfreundliche Abfuhr, die sie sich beim Heimleiter holten, als sie wegen einer festen Stelle anfragten. Man murrt und knurrt ein wenig, aber ist weiterhin der „nützliche Idiot“.

CAROLA KOSSMANN