Recken und Riesen

Chelsea-Coach Mourinho erkennt die Lufthoheit der Bremer an und fügt sich notgedrungen in die Niederlage

BREMEN taz ■ Werder Bremen hat ein Riesenteam, das stand für Chelseas Coach José Mourinho nach dem Abpfiff schnell fest: „Die haben ja fünf, sechs Spieler, die über zwei Meter groß sind.“ Völlig klar, dass die Londoner es da schwer haben. Das 1:0 der Bremer sei ja folgerichtig durch einen Kopfball (von Mertesacker) gefallen. Zwar verfügt Bremen inklusive Keeper lediglich über drei Spieler jenseits der 1,90 Meter, doch der Auftritt der Hanseaten muss derart imponierend gewirkt haben, dass sie vor dem inneren Auge des Londoner Trainers zu „Giganten wie Borowski“ wuchsen. Mourinho betrieb in seiner unnachahmlichen Melange aus Gigantomanie und Süffisanz eine Matchanalyse, die in ihrer Sachlichkeit und dem Detailreichtum jedem deutschen Trainer gut zu Gesicht stehen würde.

Er hatte sich etwas einfallen lassen, erklärte Mourinho, um dem Gegner das Spiel zu diktieren: Das Bremer System, die Raute, hatte er im Mittelfeld aufgeboten, weil man schon im Hinspiel damit gut gefahren sei, als Bremen relativ chancenlos 0:2 in London unterlag. Vor heimischen Publikum indes entwickelte sich die Bremer Raute binnen der ersten Hälfte zur spielbestimmenden Formation in einem bemerkenswert fairen Match. Mourinho vermisste schmerzlich seinen Lieblingsschüler Frank Lampard, den Mann für die harte „erste Phase des Spiels“. Diego und Torsten Frings, die beiden besten Akteure des Abends, stellten mit ihrer aggressiven Gangart Claude Makelele und Michael Ballack auf der Gegenseite klar in den Schatten, Makelele durfte ab der 30. Minute als eine Art unfreundliche Gouvernante die Fürsorge für Diego übernehmen, was dazu führte, dass es um Diego zwar ein wenig ruhiger wurde, die klugen Pässe des Franzosen aber immer seltener wurden.

Als Didier Drogba noch wegen untauglichen Schuhwerks permanent über den Rasen rutschte und der Weltklub aus London zwanzig Minuten brauchte, um dem Mann von der Elfenbeinküste brauchbaren Ersatz herbeizuschaffen, lag das Londoner Angriffsspiel lahm und Bremen bereits in Führung. Ein Eckball (27.) war vorausgegangen: „Da konnte Metzacker köpfen“, analysierte Mourinho, der wohl Mertesacker gemeint hatte, noch einer aus der Fraktion der vermeintlich doppelten Längenmeter. Zuvor war ein Kopfball Mertesackers nach einem Freistoß zur Ecke geklärt worden, Mourinho witterte mal wieder zarte Spuren einer Verschwörung, weil der Freistoß unberechtigt gewesen sei. Umzingelt von Bremer Riesen, den Schiedsrichter im Nacken, alle gegen einen – es gibt Tage, da sollte selbst Mourinho besser nicht aus dem Bett steigen.

Sein Bremer Kollege Thomas Schaaf wollte dagegen noch keinen Gedanken an das entscheidende Spiel beim FC Barcelona in zwei Wochen verlieren, zu dem Bremen als Gruppenzweiter reist. Ein Remis genügt und Barcelona ist draußen. Zunächst einmal wollte Schaaf zufrieden sein mit der Partie, denn was Bremen binnen 45 Minuten anbot, war nicht nur die spielerisch beste Leistung in der Champions League, es war auch die abgeklärteste Darbietung, die das Sturm-und-Drang-Ensemble seit langem gegen einen Gegner von Format geliefert hatte.

Die Frage, ob Chelsea nicht richtig wollte, erübrigte sich nach einer halben Stunde, als die Londoner sich entschieden hatten, wieder aktiver Teilhaber am Spielgeschehen zu sein. „Wir haben verloren, das habe ich zu akzeptieren“, sagte Mourinho, dessen Team gerade genug tat, um die Tabellenführung zu erhalten und den ungeliebten, ja beinahe verhassten Kontrahenten Barcelona unter Zugzwang zu setzen. Ein Bremer Punktgewinn am letzten Gruppenspieltag im Camp Nou, das würde reichen, und Mourinho könnte beim nächsten Mal vom strategischen Nutzen einer Niederlage fabulieren. STEFAN OSTERHAUS