BETTINA GAUS MACHT
: Baron, Kaiser, Böhmer

Alle suchen den Charismatiker in der Politik. Aber Vertrauen erwecken die Nüchternen

Was muss Barbarossa für ein Charisma gehabt haben! Seit hunderten von Jahren wartet das Volk darauf, dass der Kaiser endlich aus seinem Tiefschlaf im Kyffhäuser erwacht und der Nation herrliche Zeiten beschert. Das soll ihm erst mal einer nachmachen: eine Sehnsucht nach Rückkehr, die Jahrhunderte überdauert. Ob Guttenberg das schafft?

Als Barack Obama vor gut zwei Jahren als US-Präsident vereidigt wurde, da gab es eine Frage, die in nahezu keiner deutschen Talkshow fehlte. Was heißt hier Frage? Einen Aufschrei. Irgendjemand findet sich ja immer, der bereit ist, aufzuschreien. Damals wollte regelmäßig jemand verzweifelt wissen, wo denn der deutsche Obama sei. Warum es ihn nicht gebe. Ob niemand dem deutschen Volk das Vertrauen in die Politik zurückgeben könne. In den meisten Talkshows – nein, nicht in allen, so viel Gerechtigkeit muss walten – nickten die übrigen Teilnehmer bedrückt. Wirklich traurig. Ohne einen deutschen Obama könne es nur ein schlimmes Ende nehmen. Zweifellos werde die Wahlbeteiligung weiter sinken.

Inzwischen ist der Lack ein wenig abgeblättert und Obama gealtert. So ist das häufig, wenn Politiker in den Mühen der Ebene angekommen sind. Die Vorstellung ist ja nicht wirklich sexy, dass ein Volkstribun einen großen Teil seiner Kraft auf etwas wie – sagen wir es auf Deutsch und im Hinblick auf deutsche Verhältnisse – die Einleitung einer Normenkontrollklage verwendet. Braucht man für einen solchen Schritt tatsächlich jemanden, der die Massen hinreißen kann? Nein. Braucht man nicht. Aber gelegentlich braucht man für eine funktionierende Zivilgesellschaft ein Instrument, das langweilig ist und in Deutschland eben – zum Beispiel – Normenkontrollklage heißt.

Ich gebe zu: Mir war und ist der Wunsch nach charismatischen Politikern fremd. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis danach. Wenn ich einen Charismatiker sehen will, dann besuche ich die Show eines Zauberers. Von dem erwarte ich, dass er Tricks beherrscht, und ich hoffe, dass er Illusionen erzeugen kann. Das ist so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was ich mir von einem Politiker wünsche.

Bin ich damit Teil einer Minderheit? Wenn man atemlosen TED-Umfragen glauben will: Ja. Aber wenn man darauf schaut, wer tatsächlich Vertrauen in der Bevölkerung erwerben kann und konnte, dann bietet sich ein anderes Bild. Der CDU-Politiker Wolfgang Böhmer, ein 75-jähriger ehemaliger Chefarzt, hat neun Jahre lang Sachsen-Anhalt regiert. Auf ziemlich unspektakuläre Weise. Kurt Beck, 62, ist der am längsten amtierende Ministerpräsident Deutschlands; seit 1994 ist er der Landesfürst von Rheinland-Pfalz. Und auf den 52 Jahre alten Olaf Scholz, seit ein paar Tagen Erster Bürgermeister von Hamburg, richten sich neue, große Hoffnungen der Sozialdemokratie.

Was eint die drei Politiker, die ideengeschichtlich vieles trennt? Sie sind staubtrocken. Keiner von ihnen verfügt über das, was landläufig unter Charisma verstanden wird. Kaum jemand unterstellt einem von ihnen persönlich, für Vertrauensschwund gegenüber Politikern verantwortlich zu sein. Sie werden nicht geliebt. Aber geschätzt. Reicht das nicht?

„Das beste wäre, du bliebest zu Haus, / Hier in dem alten Kyffhäuser – / Bedenk ich die Sache ganz genau, / So brauchen wir gar keinen Kaiser.“

Schrieb Heinrich Heine 1844.

Die Autorin ist Parlamentskorrespondentin der taz Foto: A. Losier