Strippen in der Nacht

Während bei den Chippendales knackige Körper die Freundinnenkollektive zum Jauchzen bringen, zeigt das HAU in sieben Choreografien, wie eng Ausziehen und Selbstbewusstsein zusammengehören

von JENNI ZYLKA

Herzlich willkommen zum größten Sekretärinnentreffen der Welt. Junge, alte, dicke, dünne, wasserstoffblonde, straßenköterblonde, strähnchenblonde, ach ja, und natürlich sind die meisten überhaupt keine Sekretärinnen. Sondern einfach Frauen, die die „Ultimate Girls Night Out“ erleben wollen: Die Chippendales in Berlin. Es gibt in Las Vegas dutzendweise Chippendales, wie viele genau beim Mega-Menstrip am Mittwoch in der Treptower Arena mitmachten, ist nicht herauszubekommen – sie sehen sich zu ähnlich. Von den Tribünenplätzen aus, die etwas unter 51 Euro kosten, erkennt man immer nur die Langhaarigen, den Wikinger und den Biker. Und den Schwarzen.

Alle haben glattrasierte Muskelbrüste. Dem Scheinwerferstrahl nach zu urteilen, der sich ab und zu an einem straffen Schenkel bricht, sind sie eingeölt. Schon beim ersten Ton des Eingangs-Hiphop-Stücks steht ein Drittel der riesigen, fast ausverkauften Halle auf, schmeißt die Arme hoch und quietscht. Aus Plastikbechern tropfen Schaumwein und rosa Cocktails, und im Publikum ist kein einziger Mann auszumachen. Kein verlorener Schwuler, keine neugierige, eifersüchtige Ehemannriege, kein angehender Tänzer.

Bieder wie Boygroups

Hier sind heißgemachte Frauen unter sich, und man fragt sich auf dem hinteren Tribünenplatz, ob man vielleicht doch keine richtige ist: Was ist es, verdammt noch eins, das die Weiber dermaßen ausflippen lässt? Die biederen Thementableaus, die in Boygroup-Choreografien da vorne entstehen, das „Cowboy-Picture“, das „Rockband-Picture“, das „Men-in-Uniform-Picture“? Das traurige Fehlen der Körperbehaarung? Das Interaktive?

Bei jeder zweiten Nummer darf eine Dame auf die Bühne. Meist sitzt sie auf einem Stuhl und windet sich begeistert. Der Stuhl ist wichtig, weil die Chippendales sie arschbackenschwingend anstrippen. Oft soll sie über deren Sixpack wischen, und das Kreischen erreicht den Höhepunkt, wenn der jeweilige Chippendale mit dem Rücken zum Publikum (und dem Dödel zur Bühnenbesucherin) den String wegreißt, allerdings immer nur kurz, dann wird es dunkel, und die Dame von der Bühne hat eine Geschichte für die morgige Mittagspause im Büro (um beim Vorurteil zu bleiben).

Apropos Höhepunkt: Einer der Unterschiede zu Frauenstrip ist, dass der zumindest irgendein Ziel hat, oft kann man sich bei den Auszieherinnen nämlich wirklich noch eine Portion Sex erkaufen, wenn man’s nötig hat. Selten werden männliche Striplokalfrequentierer auch von ihren PartnerInnen abgeholt – vor der Arena wartete nach der Show Auto neben Auto mit braven Gatten drin. Außerdem sind die Machtstrukturen anders: Die Chippendales werden bewundert, bekreischt und bekichert, im Freundinnenkollektiv natürlich. In vielen Striplokalen sitzt man dagegen allein im Dunkeln, und man verachtet landläufig die Frauen, die fürs Erregen bezahlt werden – vor allem wenn sie zusätzlich als Hure arbeiten und einem gleich für Geld einen runterholen.

Genau mit diesem kontroversen Thema beschäftigt sich das Hebbel am Ufer in Form von sieben Tänzen, die von sieben belgischen ChoreografInnen für sechs Stripperinnen und einen Stripper erarbeitet wurden. Voll war die Premiere von „Nightshade“ am Donnerstag auch, bärtige Männer, die Kulturspiegel lesen, schön gealterte Frauen, die bestimmt zu jeder Tanzveranstaltung gehen. Die Mischung aus Striptease und Feuilleton scheint, spätestens seit sich jedes Theater mit Burlesque Shows schmückt, gut anzukommen.

Tatsächlich funktionieren 5 der 7 Akte hervorragend als unvorhergesehene Variation des alten Themas: der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Sex. Vera Mantero etwa hat die füllige, zutätowierte Stripperin Delphine Clairet, die in Pariser Lesbenbars auftritt, mit Luftballons ausstaffiert wie ein Michelin-Männchen. Clairet redet über Sex, übers Ausziehen, Verklemmtsein und Ehefrauenbetrügen, sticht dabei die Ballons kaputt, bis sie nur noch mit Tattoos und aufgemaltem Bikini auf der Bühne steht. Den wäscht sie nonchalant mit einem Lappen weg – eine von vielen hübschen Ideen des Stücks.

Schneckenlangsam nackt

Alain Platel wiederum hat Caroline Lemaire in Fetisch-Stilettos und ein langes Kleid gesteckt. So strippt sie schneckenlangsam zu „Je t'aime (moi non plus)“, dargeboten vom wacker-abwechslungsreichen Holzbläserquartett. Die schmale Kindfrau Sky van Der Hoek spielt in einem Akt von Caterina Saga ein schüchternes Mädchen, das – à la Chippendales-Interaktion – auf die Bühne geführt, zu lauten Misstönen vom Vorhang gejagt und schließlich von ihm am Boden gehalten wird, während sie sich auszieht. Subtil wird so der Bogen zu Kindesmissbrauch und Zwangsprostitution gespannt.

Am Ende bringt Sarah Moon Howe in einer Choreografie von Wim Vandekeybus einen schmierigen Verehrer auf einer Riesenleinwand um, indem sich nach und nach ihre abgelegten Dessous in seine Gesichtsöffnungen stopfen und ihn ersticken. Es ist eine absurd-geniale Mischung aus Tanz, Musik, Film und Trickfilm. Überhaupt wimmeln die meisten der Akte von hinreißenden Effekten, die sämtliche Klischees, die die aalglatten Ami-Muckibudenabonnenten vom Mittwoch heraufbeschwörten, elegant wieder einreißen. Wie man danach noch irgendwelchen Chippendales zujubeln oder Tabledancerinnen Scheine unter den String klemmen kann, ist ein Rätsel. Andererseits: Die sollen ja auch leben.

Nightshade im HAU 1, 25. 11., 19.30 Uhr