die taz vor vierzehn jahren über die asyldebatte, schreibtischtäter und die toten von mölln
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In Mölln wurde ein Brandanschlag verübt, dem drei Menschen zum Opfer gefallen sind. Wer vor solchen Ereignissen gewarnt hat, wurde bisher belächelt oder der Hysterie geziehen. Einem nur noch als kontraphobisch einzustufenden „Antialarmismus“ zum Trotz sind einige Klarstellungen unerläßlich. Erstens sind heute Politiker aller Parteien, die die Asyldebatte führen, in genau dem Sinne, in dem einst die Hetzjournalisten der Bild-Zeitung am Attentat auf Rudi Dutschke schuld waren, für die Toten von Mölln verantwortlich. Zweitens: Wenn jemals der Begriff „Schreibtischtäter“ in der Geschichte Westdeutschlands auf eine Person zutrifft, dann auf Verteidigungsminister Volker Rühe, der im September 1991 als CDU-Generalsekretär mit einem Asyldebattenerlaß die Lawine der Gewalt losgetreten hat. Drittens: Daß Helmut Kohl und Björn Engholm die Trauerfeier in der türkischen Moschee zu Hamburg mieden, ist ein Skandal eigenen Ranges. Politik besteht auch in symbolischen Handlungen – die Solidarität der Menschen untereinander angesichts des Todes muß, wenn sie denn ernst gemeint ist, auch öffentlich und feierlich gezeigt werden. Der Bundesregierung hätte es, wenn sie das, wofür sie in Berlin vergeblich demonstrierte, ernst meinte, angestanden, für Bahide Arslan sowie den beiden Mädchen Ayshe und Yeliz einen Staatsakt auszurichten.

Wer sich verteidigt, so heißt es, klagt sich an – wer einem Begräbnis fernbleibt, deutet auf sich. Helmut Kohl und Björn Engholm aber waren bei der Trauerfeier in Hamburg nicht zugegen. Diese Unterlassung wird auch nicht dadurch getilgt, daß Engholm mit ein paar Politikern Tage zuvor den Gatten der verbrannten türkischen Frau besuchte. Bei Trauerfällen ist es in der politischen Klasse allemal üblich, Terminpläne umzudisponieren. So bleibt festzustellen, daß die Urkunde der großen Koalition, die jetzt geschrieben wird, mit der Asche dreier toter Türkinnen besiegelt ist. Micha Brumlik, taz, 30. 11. 1992