Der Angeklagte sagt nur zwei Sätze

In Madrid beginnt der Prozess gegen die mutmaßlichen Urheber der Anschläge auf die Pendlerzüge 2004. Einer der Hauptangeklagten verweigert die Aussage. Die Anwälte stellen einen Antrag auf Rechtsunwirksamkeit des Verfahrens

AUS MADRID REINER WANDLER

„Ich erkenne keine der Anschuldigungen an. Ich werde keine Fragen beantworten.“ Das waren die einzigen Worte von Rabei Osman Al Sayed alias „der Ägypter“, als er am gestrigen ersten Verhandlungstag zu den Bombenanschlägen auf die Pendlerzüge am 11. März 2004 in Madrid befragt wurde. Rabei gilt als einer der Chefideologen der islamistischen Zelle, die für das Attentat verantwortlich sein soll. Ihm drohen 38.656 Jahre Haft.

Doch den bärtigen jungen Mann scheint dies kalt zu lassen. Er sitzt ruhig auf seinem Stuhl vor Richter Javier Gómez Bermúdez von der Audiencia Nacional, dem höchsten spanischen Strafgericht. Unbeeindruckt lässt er die Fragen der Staatsanwältin über sich ergehen. Selbst gegenüber seinem Verteidiger bricht er sein Schweigen nicht.

Rabei Osman war in Italien verhaftet worden, nachdem er bei einem abgehörten Telefongespräch geprahlt hatte, er habe sich die Anschläge ausgedacht. Weitere 28 Angeklagte werden in den kommenden Wochen vernommen. Achtzehn sitzen abgeschirmt hinter Panzerglas, 10 davor auf der Anklagebank. Sie alle erklären sich für unschuldig.

Bei den Anschlägen vom 11-M, wie der Tag des Massakers in Spanien heißt, starben 191 Menschen, knapp 2.000 wurden verletzt. Dreißig Angehörige von Opfern und direkt Betroffene verfolgen die Verhandlung im Gerichtssaal. Weitere 150 sind in einem mit Bildschirmen ausgerüsteten Nebenraum untergebracht, abgeschirmt von Presse und Öffentlichkeit. Viele Angehörige haben noch immer nicht die Kraft, an der Verhandlung teilzunehmen.

Nicht so Pilar Manjón, die Vorsitzende der größten Vereinigung der Opfer des 11-M. Sie sitzt im Gerichtssaal. Immer wieder sucht sie den Blickkontakt mit den Angeklagten im „Aquarium“. „Ich will, dass sie mich anschauen. Ich werde ihr schlimmster Albtraum sein“, erklärte sie später. Die hagere Frau hat in einem der vier Züge ihren zwanzigjährigen Sohn verloren. „Ich hoffe, dass uns endlich Gerechtigkeit zuteil wird und die Wahrheit ans Licht kommt.“ Die Vereinigung Manjóns tritt als Nebenklägerin auf. Alle Angeklagten seien schuldig, daran hat die aktive Gewerkschafterin keinen Zweifel.

Das eigens für das Verfahren auf einem alten Messegelände hergerichtete Gebäude ist abgesperrt. Fernsehteams dürfen nur vom gegenüberliegenden Gehsteig aus berichten. Bilder aus dem Gerichtssaal werden während des Verfahren von offizieller Seite live und unzensiert zur Verfügung gestellt. Dutzende von Journalisten stehen auf einer Warteliste, zu klein ist der Presseraum. Der zweite Kanal des Madrider Regionalfernsehens sowie mehrere Internetseiten übertragen die Verhandlung.

„Der öffentliche Druck ist enorm“, weiß Eduardo García Peña. Er ist Sprecher der 25 Pflichtverteidiger unter den 29 Anwälten. Die Arbeit in diesem Verfahren sei schwierig: „Uns fehlte es an Mitteln für eine effektive Verteidigung.“ Im Laufe der Ermittlungen wurden über 120 Verdächtige festgenommen. „Viele von ihnen kamen monatelang in Untersuchungshaft, um dann ohne jegliche Anklage wieder freigelassen zu werden“, sagt García Peña. Bei nur 50 Pflichtverteidigern an der Audiencia Nacional hatte jeder Anwalt lange Zeit gleich mehrere Mandanten. Der Arbeitsaufwand sei enorm. Das Mammutverfahren kann mit einer möglichen Revision knapp fünf Jahre dauern. „An weitere Arbeit nebenher ist nicht zu denken. Dennoch können wir als Pflichtverteidiger dem Staat nur 20.000 Euro in Rechnung stellen“, sagt García.

„Zu den 93.000 Seiten starken Ermittlungsakten haben wir erst seit April 2006 Zugang, zuvor war die Untersuchung geheim“, beschwert sich García. Die Zeit sei viel zu knapp gewesen. Übersetzer, um mit den Mandanten zu reden, die kaum Spanisch können, gebe es erst seit vier Monaten. Die Verteidiger haben deshalb einen Antrag auf Rechtsunwirksamkeit des Verfahrens gestellt. Nach spanischem Recht geschieht dies schriftlich. Entschieden wird am Ende des Verfahrens, unmittelbar vor dem Urteil.