DIE KLISCHEEBELADENE OHNMACHT IST OFT NAH AM WODKA GEBAUT
: Moscow Mule trifft McBeth

VON JURI STERNBURG

Na klar kann ich das machen, gar kein Problem, gleich nächste Woche!“ Ich bestellte gerade den vierten Moscow Mule, mein „Brother from another mother“ Chehad hatte mich wiederum soeben einer attraktiven Stuttgarterin vorgestellt (die, wie sich bald herausstellen sollte, einen Job bei einem Typen angenommen hatte, dem ich erst vor drei Wochen auf dem Splash!-Festival Prügel androhte) und niemand interessierte sich für die angesagte Indie-Band, die in den Innenräumen des Prince Charles gerade vor sich hin klimperte.

Dieser letzte Satz mag vielleicht ein eher schlechtes Gesamtbild von mir zeichnen, aber die Moscow Mules gab es umsonst und die dem Typen angedrohten Schläge waren durchaus berechtigt.

Jedenfalls bestätigte ich erneut meine Absicht: „Wenn du willst, schreib ich eine ganze Kolumne über dich.“ Eventuell trug der Alkohol etwas zu meinem Übermut bei, andererseits gibt es auch keinen Grund nicht über Chehad zu schreiben, schließlich hatte er mich zu dieser Four Music-Veranstaltung mitgenommen auf der inzwischen die Pet Shop Boys-Klone „Hurts“ aufspielten. Außerdem ist er einer aus der kreativen Elite und wir reden hier nicht von den Typen, die in der als „Partytram“ verschrienen M 10 stehen und „Guten Tag, ich bin arbeitsloser Designer und verkaufe die Vogue“ jammern.

Ich kenne ihn lang genug, um mit ihm auf oberflächliche Veranstaltungen wie diese zu gehen, ohne das Gefühl haben zu müssen, von einer Horde Vollidioten umgeben zu sein, und das will was heißen. Vor allem aber ist er das, was man einen „Best Buddy“ nennt, und nachdem er in meinem Romanmanuskript derzeit eine eher unrühmliche Rolle als Freizeitterrorist einnimmt, wird es Zeit, ihm zu lobhudeln. Dies wäre hiermit wohl ausreichend erledigt.

Die junge Stuttgarterin jedenfalls schien uns das alles nicht so recht abzukaufen, sie lächelte höflich und war irgendwann verschwunden, wahrscheinlich nutzte sie den chaotischen Moment, als neben uns eine junge Frau in Ohnmacht fiel. Ob das an dem daneben stehenden Matthias Schweighöfer oder an der penetrant Schnulzen vortragenden Neuentdeckung Mark Forster lag, blieb ungeklärt. Ich hörte lediglich einen der Barkeeper „Wechseljahre sind keine Herrenjahre“ raunen, als er die Eiswürfel für die in Ohnmacht Verfallene brachte. Die Tränen rannen ihr übers Gesicht, offensichtlich war sie etwas nah am Wodka gebaut.

So langsam wurde es mir hier zu klischeebeladen und die Freidrinks waren ebenfalls aufgebraucht. Also kurz raus und in die nächste Fast Food-Kette meines Vertrauens, nach so viel Oberflächlichkeit kann man gut und gerne mal einen McBeth vertragen.

Am Nebentisch lag ein betrunkener Engländer in seinen Pommes und brabbelte vor sich hin. Plötzlich fiel er auf den Boden und blieb regungslos liegen, auch seine Atmung setzte scheinbar aus. Die Angestellten riefen die Polizei, wer braucht schon einen Krankenwagen, wenn die Atmung aussetzt. „I haven’t finished my french fries yet!“, grölte der Atmungsinaktive, als die herbeieilenden Beamten ihn wieder auf seinen Platz setzten. Daraufhin bestellten die beiden Gesetzeshüter sich erst mal ein paar Burger, um dann mit einem fröhlichen „Take care, my friend“ den Laden wieder zu verlassen. „Einen Moscow Mule bitte!“, rief ich, der Engländer fiel erneut mit seinem Gesicht in seine Pommes und die Bedienung zuckte resignierend mit den Schultern.

Es gibt Momente, abseits des ganzen Partytrubels, da liebe ich meine Stadt.