„Ein bunteres Spektrum ist bedroht“

Der Kölner Bildungsforscher Gerd E. Schäfer fürchtet um die didaktischen Errungenschaften der Eltern-Kitas in NRW

taz: Herr Schäfer, sind die Kitas von Elterninitiativen im Land NRW gefährdet?

Gerd E. Schäfer: Soweit ich das verfolgt habe, ja. Wenn sich die Pauschalen durchsetzen sollten, würde das die Existenz vor allem kleinerer Einrichtungen gefährden. Aber das letzte Wort ist wohl noch nicht gesprochen.

Sind die von Elterninitiativen betriebenen Kitas besser als städtische Einrichtungen?

Das kann man nicht generell behaupten. Auch dort wird unterschiedlich gut gearbeitet. Die Elterninitiativen haben aber seit den 1970er Jahren das Angebot der öffentlichen Träger ergänzt und erweitert. Es sind immer wieder neue dazugekommen. Sie haben ein bunteres Spektrum und eine buntere Didaktik in die frühpädagogische Landschaft hineingebracht. Wenn die bedroht sind, dann ist auch die Breite dieses Verständnisses bedroht.

Sind solche Initiativen nicht elitäre Klubs von Mittelschichtlern?

Das ist ein Vorurteil. In Hamburg kenne ich die Szene ganz gut, ich arbeite da mit einem Dachverband zusammen, der 150 Elterninitiativen betreut. Dort gibt es viele Einrichtungen, deren Kinder sich in der Zusammensetzung von denen in kommunalen Kindertageseinrichtungen oder anderer Träger nicht unterscheiden. Aber ich könnte ihnen auch Kindertageseinrichtungen anderer Träger zeigen, die man auch elitär nennen könnte.

Seit 40 Jahren existieren Elterninitiativen. Was unterscheidet die heutigen von den Pionieren?

Inhaltlich sind sie heute heterogener als damals. In den Anfängen waren das hauptsächlich Einrichtungen, die mit der antiautoritären Bewegung verknüpft waren, etwa die Kinderläden. Daraus haben sich die Elterninitiativen entwickelt.

Und die haben ihren antiautoritären Charakter verloren?

Die Bewegung der Elterninitiativen hat sich irgendwann von ihren politischen Ursprüngen gelöst. Heute finden sie da grüne Eltern genauso wie Eltern, die besonderen Wert auf die christliche Erziehung legen. Es gibt spielzeugfreie Kindergärten, Waldkindergärten, verschiedene pädagogischen Richtungen wie Waldorf, die Reggio oder die Montessori-Kindergärten. Leider hat diese Entwicklung in den letzten 30 Jahren keine politische Aufmerksamkeit mehr bekommen. Sie wurde deshalb auch nicht wissenschaftlich begleitet. Es fehlt uns eine Geschichtsschreibung über diese Zeit.

In Bayern sollen wegen der Einführung von Pauschalen 80 Prozent der kleinen Kitas vor dem Aus stehen. Kommt das auf Nordrhein-Westfalen auch zu?

Gerade die ein- und zweigruppigen Kitas, zu denen die Mehrheit der Elterninitiativen gehört, sind stark gefährdet. Einige Einrichtungen in Bayern mussten bereits schließen. Daraus sollte NRW lernen. Wenn gerade die kleinen Elterninitiativen keine zusätzlichen Gelder bekommen, gehen sie ein. Bereits in den vergangenen Jahren hat das Land zunehmend an den Kitas gespart. Es wäre politisch unverzeihlich, wenn man weitere Schritte unternimmt, die ihre Existenz gefährden.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN