Staubige Alternativen

NETZ Ohne Mainstream kein Untergrund, ohne Öffentlichkeit keine Gegenöffentlichkeit. Doch taugen die Begriffe heute noch?

Wer vor 30 Jahren auf einen fremden Sender angewiesen war, kann heute leicht selbst publizieren

VON JULIAN KASTEN

Die taz startete Ende der Siebziger mit dem Ziel, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Die Gründer wollten die ihrer Ansicht nach wichtigen Informationen veröffentlichen und den damaligen sozialen Bewegungen ein Sprachrohr bieten. Befreiungskriege in Südamerika oder Atomkraft erschienen im Zweifel wichtiger als eine Landtagswahl. Die taz wollte das thematisieren, was sie in anderen Medien vermisste.

Diese Form von Gegenöffentlichkeit ist heute wohl überholt. Eine überschaubare Medienlandschaft hat sich inzwischen durch den technischen Fortschritt zu einem unüberschaubaren Medienspektakel verwandelt.

Die Menschen haben heute einerseits wesentlich bessere Möglichkeiten, Informationen zu bekommen und Quellen zu überprüfen. Die Internetgemeinde beobachtet und kommentiert die Medien genauer. Andererseits löst sich die strikte Trennung von Sendern und Empfängern langsam auf. Wer vor 30 Jahren auf einen fremden Sender angewiesen war, kann heute leicht selbst publizieren. Das bewirkt eine Zunahme medialer und politischer Selbstorganisation. Die etablierten Medien, zu denen die taz heute auch zählt, haben heute kaum eine andere Wahl, als sich dem Internet und dem Publikum zu öffnen. Einiges spricht also dafür, Hoffnungen auf eine „bessere“ Öffentlichkeit in das World Wide Web zu setzen.

Allerdings nimmt nur eine Minderheit aktiv am öffentlichen Diskurs teil. Nach wie vor gibt es ein Jenseits und Diesseits der digitalen Welten. Zugangsmöglichkeiten und ungleiche Voraussetzungen vergrößern die Wissenskluft, auch innerhalb des Internets. Viele Nutzer greifen lieber auf etablierte Angebote wie Spiegel Online zurück, die die Netzagenda dominieren.

Darüber hinaus sprechen gegen eine globale Verständigung nicht nur sprachliche Barrieren. Ein freier, internationaler Informationsfluss bleibt Mythos. Er wird seit Jahrzehnten von vier Agenturen dominiert, was auch im Internet zu einseitiger Berichterstattung zugunsten der Industrieländer führt. Es spricht also auch einiges dafür, dass das Internet kein Allheilmittel ist. Der Informationskrieg geht im Netz weiter.

Blogger, Netzaktivisten und Subkulturen nutzen nun auch die Möglichkeiten des Internets, Gegenöffentlichkeiten und alternative Medien zu schaffen. Sie grenzen sich ab und stellen ihre Medien selbst her. Das Internet ist dazu das herausragende Werkzeug: Durch dezentrale Netzwerke und geringe Kosten können alternative Medien auf völlig neue Weise organisiert und etabliert werden. Diese neuen Formen und Varianten von Gegenöffentlichkeit sind zwar anders wie die der taz vor 30 Jahren, doch der Begriff und dessen Entwicklung haben ihre Existenzberechtigung nie verloren. Solange eine Öffentlichkeit besteht, wird es einen medialen Untergrund geben, der Alternativkonzepte für notwendig hält.