Tod, wo ist dein Bügeleisen?

Beklemmend: Nanouk Leopold filmt in „Wolfsbergen“ (Forum) die emotionale Vergletscherung einer Familie

Konrad ist achtzig Jahre alt, seine Frau ist verstorben, und er findet: Es reicht jetzt. In einem Brief unterrichtet er alle näheren Familienmitglieder über seinen bevorstehenden Selbstmord. Allein seine Familie reagiert nicht. Die einzige Tochter möchte „das nicht diskutieren“ und geht ins Bett. Der Brief bleibt irgendwo liegen. Sie ruft ihren Vater auch nicht an. Ihre Tochter, also die Enkelin, agiert ähnlich. Auch sie will nicht darüber reden, auch sie meldet sich nicht bei ihrem Großvater, auch sie ist müde. Und sie findet, dass sich jeder umbringen kann, wann er will, aber das mit dem Briefeschreiben sollte man seinlassen.

In „Wolfsbergen“ von der niederländischen Autorenfilmerin Nanouk Leopold betonen die Frauen auffällig oft ihr Schlafbedürfnis und ziehen sich in ihre Bäder oder Schlafzimmer zurück. Und während ihre Liebhaber ihnen ins Bett oder die Badewanne folgen, bleiben die Ehemänner schweigend, mal auch weinend in der Küche zurück.

Die allgemeine Mattigkeit der Protagonisten bestimmt den ganzen Film, der langsam und lasziv Stimmungen zu eindringlichen Bildern komponiert. Dabei wird wenig gesprochen, die ganze Konzentration liegt auf dem Visuellen und hier auf den Innenräumen und der Körpersprache der ProtagonistInnen. Im Gegenschnitt sind kultivierte Baumlandschaften zu sehen. Dennoch fehlt dem Familiendrama alles Süßliche, Klebrige oder angestrengt Artifizielle.

Das Umschiffen des Melodramatischen dürfte dem Minimalismus der Regisseurin geschuldet sein. Wie sie selbst erläutert, liebt sie Räume mehr als Gesichter. „Wolfsbergen“ ist trotzdem nicht sonderlich „arty“, sondern durchleuchtet präzise und mit untergründigem Humor, wie sich wohlsituierte Menschen durch ihre Wohnungen bewegen, wie sie essen, sich waschen oder schlafen und irgendwann selbst dem Tod mit dem liebevollen Bügeln des Totenhemdes den Schrecken nehmen. Dass die Leiche nur wenige Meter vom Bügelbrett entfernt liegt, bringt sie nicht aus dem Konzept. Denn stets bewegen sie sich selbstbewusst, leise und irgendwie wie aufgezogen durch ihren Alltag. Während die Frauen dabei jedoch eine gute Verbindung zu ihrem Körper unterhalten, wattieren sich die älteren Männer gegen die allgemeine Kälte mit Körperfett.

Nur eine Gemeinsamkeit haben alle: ihre Emotionen liegen wie unter Glas. Jeder Versuch, sich selbst oder den anderen nahezukommen, perlt dabei ab. Die Unfähigkeit zur Empathie führt zur unentwegten Abgrenzung von Menschen, mit denen man sich dessen ungeachtet beharrlich in den gleichen Räumen aufhält. Familienleben eben oder vielleicht besser: Familienstillleben. Die alltägliche Grausamkeit liegt in der konsequenten Verweigerung, auch nur ein einziges Mal die eigene Spur zu verlassen und den LebenspartnerInnen oder Kindern im eigenen Blick Raum zu gewähren. Stattdessen erstarren alle in Selbsteinschlüssen, werden zu Fossilien. Dass sie dabei keineswegs unsympathisch und immer freundlich zu einander sind, ist vermutlich genau das Detail, das ZuschauerInnen so gegen sie aufbringt. Ihr Nichtagieren, ihre intensive Kälte ist kaum auszuhalten.

An ihrer statt regte sich daher das Publikum. Tief und weithin hörbar wurde ein- und ausgeatmet, immer wieder lief ein nervöses Stoßlachen durch die Sitzreihen. Auch der leicht hysterische Applaus am Schluss zeigte, wie dringend nötig das Publikum ein Ventil hatte. Denn so bekannt das Drama der emotionalen Vergletscherung in Familienzusammenhängen ist, den Bildern von Leopold entzieht sich auch die routinierte KinogängerIn nicht so leicht. INES KAPPERT

„Wolfsbergen“. Regie: Nanouk Leopold. Mit Fedja van Huet, Tamar van den Dop, Jan Decleir, Karina Smulders. Niederlande 2007, 90 Min. 17. 2., 15 Uhr, Arsenal