Wohin die Gebärmutter wandert

Nervenschwache Mafiosi: Ein Symposium in der Akademie der Künste widmete sich am Wochenende dem Kino des hysterischen Mannes

Existiert der hysterische Mann nur im Kino, oder ist er auch ein aktuell relevantes Phänomen in unserer Gesellschaft? Mit dieser Frage beschäftigte sich am Wochenende ein angenehm kleines und unprätentiöses Symposium an der Akademie der Künste, veranstaltet von der Filmpublizistin und taz-Autorin Claudia Lenssen. Gemeinsam versuchten die FilmwissenschaftlerInnen Claudia Scherer, Johannes Binotto und die Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer und Hinderk Emrich, die lange und umkämpfte Geschichte der Hysterie auf die Gegenwart zu beziehen.

Nun entzieht sich die Hysterie von Hause aus der eindeutigen Definition. Schließlich sollte das damit bezeichnete pathologisch überspannte Verhalten Symptom einer wandernden Gebärmutter sein. So sahen es bereits die Griechen, und so sah es auch der berühmte französische Neurologe Jean-Martin Charcot zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig wurde die Hysterie als Signal für Genialität betrachtet – bei Männern – und infolgedessen als Preis, den der Künstler für die eigene Kreativität zu entrichten hat. Und heute? Welche Auffassung von Hysterie findet sich gegenwärtig, wo die Medizin diesen Begriff aus ihrem Diagnosevokabular entfernt hat?

Gehen wir ins Kino. Auch hier zeigt sich: Hysterie ist weder nur Frauen vorbehalten noch purer Makel. Woody Allens Männerfiguren – wer würde sie nicht als sympathisch überspannt wahrnehmen? Aber auch weniger Offensichtliches wurde von Binotto überzeugend vor Augen geführt: Die Mafiafiguren von Scorsese etwa, ob in „Hexenkessel“ oder „Goodfellas“, sind waschechte Hysteriker. Der würdige Vertreter der Cosa Nostra nämlich zeichnet sich durch ein besonderes Kommunikationsverhalten aus: Wenn er spricht, dann setzt er bei seinem männlichen Gegenüber voraus, dass dieses bereits weiß, worum es geht. Er sagt also nur das Allernötigste, denn das Wichtigste ist: kein Geheimnis preiszugeben. Gleichzeitig muss er herausfinden, ob der andere mehr weiß als er. Das ist lebensentscheidend. Verweigert sein Gesprächspartner die begehrte Eindeutigkeit, und das sollte er besser, führt das regelhaft dazu, dass der Held die Nerven verliert, die Deckung aufgibt und hysterisch die Frage wiederholt: Was willst du (von) mir?!

Während sich die Filmwissenschaftler auf ausgewählte Filmbeispiele beschränkten, bemühten sich die Psychoanalytiker um eine breiter angelegte Gesellschaftsanalyse. Die kapitalistisch geprägte Mediengesellschaft sei grundlegend hysterisch verfasst, da sie die Sehnsucht nach einem Mehr schürt und doch immer dafür sorgt, dass dieses Begehren unerfüllt bleibt, argumentierte etwa Emrich.

Doch dies betrifft ja nicht nur den Mann, sondern alle Gesellschaftsmitglieder, wenn auch je nach Bildung und Finanzkraft in unterschiedlichem Maße. Just daran krankte das sonst gelungene Symposium: Nonchalant sprach man von „den Männern“ und „den Frauen“. Und tappte damit erneut in die Falle, mit einer jedes soziologische Grundwissen ignorierenden Rede vom Geschlecht gesellschaftliche Konstruktionen und Verhältnisse wider Willen zu naturalisieren. INES KAPPERT