Solidarische Ökonomie boomt

Der TU-Kongress zum solidarischen Wirtschaften übertrifft alle Erwartungen. Statt 500 kamen knapp 1.500 Teilnehmer aus aller Welt. Die Aufbruchstimmung auf der dreitägigen Tagung soll nun zur Gründung neuer Projekte führen

Der große Saal der Technischen Universität ist so voll, dass beim gestrigen Abschlussplenum des Kongresses „Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus“ Dutzende Teilnehmer auf den Gängen sitzen müssen – kein Durchkommen mehr für Zuspätgekommene. Der volle Saal zum Abschluss des dreitägigen Kongresses, bei dem Vertreter von Projekten aus aller Welt geladen waren, ist Sinnbild für die große Resonanz, die die Erwartungen der Veranstalter weit übertrifft. Statt der erwarteten 500 Teilnehmer kamen knapp 1.500 – rund 350 davon spontan aus Berlin und Brandenburg.

„Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen kommen“, sagt Organisatorin Dagmar Embshoff, während sie strahlend eine Hand nach der anderen schüttelt. Dolmetscher, Referenten, Techniker, Helfer – alle werden mit einem freundlichen Händedruck verabschiedet. Den Grund für den Kongresserfolg sieht Embshoff in der Organisation und wachsendem Interesse am Thema. „Wir hatten einen sehr breiten Vorbereitungskreis.“

Und offenbar steigt in Zeiten des Sozialabbaus auch das Bedürfnis nach Alternativen – und zwar nicht nur im makroökonomischen, sondern auch im mikroökonomischen Rahmen, den der Kongress besonders angesprochen hat. Die alltägliche Arbeit von Initiativen, Genossenschaften und Betrieben, die sich dem solidarischen Wirtschaften verschrieben haben – sie stand im Mittelpunkt des Kongresses.

Die Aufbruchstimmung des Kongresses will Embshoff nun nutzen. Zunächst müsse jetzt vor Ort über Möglichkeiten solidarischen Wirtschaftens aufgeklärt werden, vielleicht entwickelten sich dann auch neue Projekte. „Wir brauchen viele neue Wir-AGs statt Ich-AGs“, brachte es eine Kongressteilnehmerin auf den Punkt. In zwei Jahren könnte es den nächsten Kongress dieser Art geben, vielleicht wieder in Berlin.

Schließlich gebe es weltweit, aber auch in Deutschland einen großen Wirtschaftssektor solidarischer Ökonomie, so die Veranstalter. Dieser umfasse sehr unterschiedliche Formen von Betrieben und Projekten, zum Beispiel Genossenschaften, selbstverwaltete Betriebe, Unternehmungen mit sozialer Zielsetzung, Wohn- und Gemeinschaftsprojekte, Tauschringe, alternative Finanzierungseinrichtungen. Das Spektrum reicht von fairem Handel, landwirtschaftlicher Direktvermarktung und Frauenprojekten bis hin zu Initiativen für offenen Zugang zu Wissen.

Auf dem Kongress habe man auch viel von den Nachbarn in Europa lernen können, berichtet eine Teilnehmerin. So gebe es in anderen Ländern gesetzlich geregelte Fördermittel, wenn Mitarbeiter einen Betrieb, der vor der Pleite steht, übernehmen wollen. „Das brauchen wir auch in Deutschland.“

Petra Meyer des Deutschen Gewerkschaftsbunds Berlin-Brandenburg versuchte auf dem Kongress, Berührungsängste zwischen Gewerkschaften und Alternativökonomen abzubauen. „Wir in der Region öffnen uns den Alternativen“, so Meyer. Der Gewerkschaftsdachverband unterstütze etwa Kieztreffs oder andere Formen sozialer Ökonomie. Zudem habe man sich dafür eingesetzt, dass Mittel der Europäischen Strukturfonds für Mikroprojekte ausgereicht würden. „Im Vergleich zu euch haben wir aber noch einen weiten Weg zurückzulegen“, rief Meyer den Kongressteilnehmern zu. ROT