Zu viel Routine, zu wenig neues Kino

Hollywood, einige Binsenweisheiten und Frivoles – der Berlinale-Wettbewerb 2007 hat insgesamt enttäuscht

BERLIN taz ■ Wenn heute Abend im Berlinale-Palast der Goldene Bär verliehen wird, geht ein enttäuschender Wettbewerb zu Ende. Das Programm umfasste 22 Filme, die meisten davon waren durchschnittlich, einige nicht mal das. Wer anhand der Wettbewerbsbeiträge hoffte, eine Ahnung davon zu bekommen, wie die Zukunft des Kinos aussehen könnte, wurde gründlich enttäuscht. Und auch von der Reichhaltigkeit der Kinogegenwart war in diesem Jahr im Berlinale-Palast nicht viel zu spüren.

Stattdessen gab es routiniert inszenierte Filme aus Hollywood, Filme aus entlegenen Weltgegenden, die lange Einstellungen und Wortkargheit mit ästhetischem Konzept verwechselten, frivole Filme wie Jiří Menzels Schelmenstück „Ich habe den englischen König bedient“, das sich am Anblick nackter Brüste und üppiger Speisen erfreute, oder Sam Garbarskis „Irina Palm“, ein Feelgoodmovie, das eine sedierte Marianne Faithful als Sexarbeiterin zum Geldverdienen schickte. Großzügig verstreute Garbarski seine schlüpfrige Pointen, großzügig teilte Faithful hand jobs aus, aber die Chuzpe, auch nur einen Schwanz ins Bild zu rücken, hatte „Irina Palm“ nicht.

Daneben gab es Filme mit politischer Agenda wie etwa Joseph Cedars „Beaufort“, in dem es um den Rückzug einer israelischen Armeeeinheit von einem Militärposten im Libanon geht, oder Gregory Navas „Bordertown“, der die Ermordung von mehreren hundert jungen Frauen in der mexikanischen Grenzstadt Juárez anklagt. Diese Filme bestätigen, was niemand ernsthaft bestreiten wollte: Krieg ist schlimm, die Globalisierung hat hässliche Nebenwirkungen, die Rechte von Frauen müssen verteidigt werden. Wer freilich von Filmen nicht mehr erwartet als solche Binsenweisheiten, wird dem Kino nicht gerecht – genauso wenig wie den politischen Problemlagen, die zur Debatte stehen.

Ausnahmen waren rar. Der Berliner Regisseur Christian Petzold suchte mit „Yella“ nach einer Antwort darauf, wie man mit Filmbildern die Welt des avancierten Kapitalismus erfassen kann. André Techiné erzählte in „Les témoins“ („Die Zeugen“) von der Zeit, als Aids entdeckt wurde. Sein Film mag ein wenig überfrachtet sein, seine Inszenierung aber hat die Virtuosität, die vielen anderen Wettbewerbsfilmen fehlte. Das größte Verdienst kommt Jacques Rivette zu. Der 1928 geborene französische Regisseur hat mit „Ne touchez pas la hache“ („Die Herzogin von Langeais“) eine Novelle von Balzac verfilmt. Darin geht es um eine Herzogin (Jeanne Balibar) und einen General (Guillaume Depardieu). Dieser verliebt sich in jene, sie weist ihn zunächst zurück, indem sie mit ihm und seinen Gefühlen spielt. Nachdem er sich seinerseits entzogen hat, verliebt sie sich erst richtig. Es ist bewundernswert, wie Jeanne Balibar ihre Rolle verkörpert und wie subtil Rivette die Arrhythmien des Herzens in Szene setzt: Der leicht ironische, verspielte Tonfall des ersten Teils erhält nach und nach eine düstere Farbe, bis aus der komödiantischen Frische endgültig eine Tragödie wird. Einen Ausblick auf die Zukunft des Kinos mag „Die Herzogin von Langeais“ nicht liefern, wohl aber versteht sich Rivette auf die Reize eines raffinierten, literarischen, perfekt inszenierten Kinos. Und das war im Verlauf der diesjährigen Berlinale schon sehr viel wert.

CRISTINA NORD