UNGLÜCKLICHE LIEBE, UNGLÜCKLICHES JAPAN
: Viele Gründe, depressiv zu sein

VON ANDREAS HARTMANN

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Am Freitagabend war alles wie immer. Weg gewesen. Getrunken, gelacht. Das Konzert von Christiane Rösinger im HBC war ausverkauft, die Stimmung bestens. Christiane Rösinger war nach dem Konzert überglücklich. Gerade läuft es bei ihr wie nie in ihrer langen Karriere. Junge Mädchen, die die Lassie Singers kaum mehr mitbekommen haben können, strömen herbei und bezeichnen Christiane Rösinger als ihr Idol, wollen Autogramme von ihr.

Diese Tragik der Liebe, die Unmöglichkeit, eine sinnvolle Zweierbeziehung zu führen, all diese typischen Rösinger-Themen bewegen auch die Generation der Twenty-Somethings. Christiane Rösinger ist mit ihrem neuen Album nun sogar für den Echo nominiert. Irgendwann sagt jemand, die Lage in Japan mache sie betroffen, aber diese Bemerkung ist schnell wieder verdrängt, darauf hat an so einem Abend niemand wirklich Lust. Aber da ging es ja auch noch nicht wirklich um eine mögliche Kernschmelze in Fukushima I.

Dass sich das im Laufe des Wochenendes noch ändern sollte, ist das Erstaunlich an der Katastrophe in Japan. Andauernd passiert ja gerade irgendwo etwas, das einem die Partylaune verderben könnte, und die Ereignisse in Lybien sind schon deprimierend genug. Aber man kann all die Katastrophen normalerweise immer so wunderbar ausblenden, und wenn man mal nicht zur Ruhe kommen sollte, hilft vielleicht Alkohol.

Eigentlich wäre am Samstag auch noch Weggehen angesagt gewesen. Stattdessen habe ich Samstagabend eine SMS verschickt, in der zu lesen war: „Kann jetzt nicht weggehen. In Japan droht der Super-Gau. Nichts ist, wie es vorher war.“ Für den letzten Satz schäme ich mich im Nachhinein schon. Das ist so ein Sensationssatz, ein Superlativ, der eigentlich nichts aussagt. Außerdem sagen ungefähr das Gleiche am nächsten Tag auch der Betroffenheits-Profi Wolfgang Huber und Umweltminister Norbert Röttgen bei Anne Will. Und Röttgen sagt das, um damit verzweifelt dem Wahlvolk irgendwie verständlich machen zu wollen, dass selbst Schwarz-Gelb nach den Ereignissen in Japan nochmals die eigene Atomkraftpolitik überdenken will.

Aber andererseits war man von diesem „Nichts ist, wie es vorher war“-Gefühl einfach bestimmt an diesem Wochenende. Man war auf der Suche nach diesem Nine-Eleven-Moment, nach einem Anhaltspunkt, dass gerade die ganze Welt den Atem anhält. Nur Berlin und der Hang zu demonstrativer Lässigkeit in dieser Stadt machen es einem immer wieder nicht gerade leicht, die Dinge richtig einordnen zu können.

Am Sonntag zeigte der Frühling ein erstes Lächeln, alles war wie immer, die Bruncher saßen vor den Kaffees herum, die Parks waren überbevölkert. Gut, man sah ein paar mehr Atomkraftsonnen auf T-Shirts und irgendwann hat man dann kurz über Gudrun Pausewangs Atom-Klassiker „Die Wolke“ gequatscht und über Godzilla, der ja so etwas wie eine Metapher für eine Atomkatastrophe ist. Aber eigentlich war es unmöglich, draußen im Grünen seine Gedanken zu sortieren und das bei sich selbst zuzulassen, worum man sonst immer einen großen Bogen macht, eben: Betroffenheit.