Die Schalker Sensibelchen haben das Wort

Die Tabellenspitze verteidigt, die beste Bilanz seit Bestehen der Bundesliga – eigentlich könnten sie auf Schalke locker aufspielen. Doch der späte Ausgleich der Wolfsburger sorgt für nachhaltige Verwirrung auf dem Weg zur Meisterschaft

WOLFSBURG taz ■ Der FC Schalke 04 steht zum dritten Mal in Folge an der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga. Und er führt so klar, dass er nach dem Heimspiel am kommenden Sonntag gegen Leverkusen so oder so ein viertes Mal oben stehen wird. Das 2:2 beim VfL Wolfsburg vom Samstag war das 13. Spiel in Folge ohne Niederlage, der 33. von 39 möglichen Punkten. Kurz: So gut stand Schalke nicht da seit Gründung der Liga 1963. Und dennoch... hören wir mal kurz in die Ansprache von Kapitän Marcelo Bordon nach der Begegnung rein. Da stand der „Kopf“, wie Manager Andreas Müller den Innenverteidiger nennt, in der VW-Arena, schüttelte denselbigen heftigst und entfaltete mit seiner leisen Stimme einen langen Stream of Consciousness, der wie zwangsläufig in ein einziges Wort mündete: „Scheiße.“ Besser hätte man das Spiel nicht auf den Punkt bringen können.

Wie es kommen konnte, dass der Tabellenführer ein 2:0 noch aus der Hand gab, ist eine spannende Frage. Noch spannender dürfte sein, ob Team, Anhang und Menschheit der Antwort allzu lange hinterhergrübeln. „Wir haben auswärts einen Punkt geholt“, sagte Trainer Mirko Slomka. Es sei „nicht alles schlecht“. Aber wenn schon der dauerlächelnde Öffentlichkeitsarbeiter leicht angeschlagen wirkt, wie mögen sich da erst die ganzen Sensibelchen in Schalke fühlen?

Aber, bitte: Der neutrale Beobachter hat in dieser Saison noch kein Team in der VW-Arena von Wolfsburg gesehen, das einen ähnlich beeindruckenden Fußball gespielt hätte wie Schalke. Auch nicht der VfB Stuttgart. VfL-Trainer Klaus Augenthaler war hinterher reichlich angesäuert, weil er sein Team 40 Minuten gar nicht auf dem Platz wähnte. Mag sein, dass der VfL nach der Pause mit „Herz und Mumm“ spielte, wie Augenthaler zufrieden konstatierte. Aber es kann auch so sein: Der Schalker, nennen wir ihn, Tempo-Kombinations-Konterfußball wird mit soviel Organisation, Druck, Präzision und individueller Klasse am Ball aufgeführt, dass einem Mittelmaß-Team wie dem VfL Wolfsburg einfach Hören und Sehen vergeht – wenn er funktioniert.

Nationalstürmer Kevin Kuranyi hatte einen Stellungsfehler von Madlung zum frühen 1:0 (11.) genutzt und danach eine dieser über den schnellen Lövenkrands vorgetragenen Hochgeschwindigkeitsaktionen zum 2:0 (29.) abgeschlossen. Es waren seine Saisontore 10 und 11. Wenn man so führt, zieht man sich zurück, nimmt das Tempo raus und wartet auf den einen Konter, mit dem man das Spiel vollends killt. Dieser Konter wurde nach 79 Minuten über Rafinha gefahren, der Ball kam auch präzise bei Kuranyi an, nur dass der diesmal an Simon Jentzsch scheiterte. „Natürlich hat er gut gehalten“, sagte Kuranyi, „aber...“ Genau. Man habe generell „in der zweiten Hälfte zu wenig Druck gemacht“, fand der Stürmer, man habe “aufgehört Fußball zu spielen“, sein Kapitän Bordon. Beide wirkten ziemlich zerknirscht, und Trainer Slomka berichtete aus der Kabine, dass es dort auch nicht wirklich fröhlicher zugehe.

Letztlich hatte Schalke den VfL aber auch nach dem Wechsel weitestgehend im Griff. „Ich denke nicht“, sagte Slomka, „dass ein Gegentor aus dem normalen Spiel heraus gefallen wäre.“ Tatsächlich war Schalke spielerisch nicht beizukommen, beide Treffer fielen nach Freistößen von Marcelinho auf den Kopfballexperten Klimowicz. Das ist ein Standard, den Wolfsburg seit der Ankunft des Brasilianers übt. Selbiges war Slomka und dem Team selbstredend bekannt, dennoch seien „beide Tore sehr schwer zu verhindern“. Beim 1:2 sprang Klimowicz höher als Krstajic, beim 2:2 war er Marcelinhos Ball wieder am nächsten, doch der flog unberührt ins Netz. „Wenn man Meister werden will“, sagt Slomka, „sollte man solche Fehler unterlassen.“ Nun fällt auch noch Peter Lövenkrands mehrere Wochen aus (Bänderriss), der für den Speed wichtig ist. Was bringt die Zukunft? Einige S04-Fans sangen: „Nie mehr 2. Liga.“ Zumindest das sollte bis auf weiteres gewährleistet sein. PETER UNFRIED