Jugendschutz bleibt Elternsache

Niedersachsen hat die Computerspiel-Industrie nicht nur als Verderber der Jugend, sondern auch als Wirtschaftsfaktor ausgemacht. Die „Gamefocus“-Tagung in Hannover zeigte Zukunftsperspektiven: Androgynes für den weiblichen Markt und Altersbeschränkungen, die auf elterliche Kontrolle setzen

„Jeder kann jedes Spiel kaufen – und trotzdem ist noch nie ein Schüler Amok gelaufen“

VON ANNEDORE BEELTE

Nein, in der Branche gehe nicht die Angst um, meint Olaf Wolters, Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU). Während am Freitag im Bundesrat die CSU ihre Gesetzesinitiative präsentierte, die virtuelle Killerspiele per Strafgesetzbuch verbieten will, tauschten am Wochenende in Hannover Spieleentwickler, Produzenten und Kommunikationsforscher die neuesten Trends aus. Eingeladen hatte nordmedia, die niedersächsisch-bremische Medienförderung. Wer hier nur kurz im Foyer die Stellwände voller Stellenanzeigen studierte, wurde gleich angesprochen: „Was suchst du denn? Ich brauche Personal.“

Rund 5.000 Arbeitsplätze, weiß Wolters, hängen in Deutschland an Joystick und Konsole. Dabei zeichne sich ein Nord-Süd-Gefälle ab, mit der Spitze in Norddeutschland. Spieleentwickler loben die Aufmerksamkeit der niedersächsischen Förderinstitutionen, auf der Messe sind Vertreter von Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei anzutreffen. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) indes gehörte zu denen, die schon vor dem Amoklauf in Emsdetten nach einem Verbot von Gewaltspielen riefen. Um ihn ist es ruhiger geworden. „Man hat ihm wohl gesagt, um wie viele Jobs es geht“, feixt Wolters.

Nach jedem Amoklauf werden reflexartig die Shooter-Spiele als Schuldige ausgemacht. Dabei sei hier wissenschaftlich kein Zusammenhang herzustellen, meint der Hannoversche Kommunikationsforscher Christoph Klimmt. Was sich allerdings in Längsschnittstudien zeigen lässt: Bei einer signifikanten Minderheit von Jugendlichen, bei denen zum Gewaltspiel-Konsum noch familiäre und schulische Probleme und soziale Isolation hinzukommen, verstärken die Shooter eine bedenkliche Persönlichkeitsentwicklung. Die Erwartung von Feindseligkeit, die dem Spieler in einer Welt voller Gegner antrainiert wird, bestätigt ihm seine reale Umwelt. Auch Laborexperimente zeigen: Gewaltspiele senken die Hilfsbereitschaft und fördern aggressives Denken, Fühlen und Handeln. Wobei man sich fragen muss, was eine US-Studie tatsächlich misst, wenn sie den Aggressionsgrad von Probanden vergleicht, nachdem die einen auf UNO-Soldaten, die anderen auf arabische Terroristen schießen mussten.

Die Spieleentwickler sind sich einig darin, dass ihre Produkte nicht in Kinderhände gehören. Hier seien eben die Eltern gefragt, sich mit dem Hobby ihres Nachwuchses zu beschäftigen und es gegebenenfalls zu reglementieren. Olaf Wolters führt vor, wie sich die neueste Generation von Spielkonsolen programmieren lässt, so dass sie nur Spiele ab einer bestimmten Altersfreigabe abspielt.

Die Konsole spricht mit dem Benutzer wie mit einem Kind, das sich für ziemlich erwachsen hält: „Was mochtest du als Kind nicht essen?“, schlägt sie als Sicherheitsfrage vor. Schon das legt nahe, dass nicht mal die Hersteller glauben, dass sich viele Eltern mit den Geräten beschäftigen werden – zumindest nicht, um den Kinderschutz einzuprogrammieren. „Die Industrie kann nur Angebote machen“, sagt Olaf Wolters.

„In Österreich gibt es keinen Jugendschutz“, berichtet die Wiener Charakter-Designerin Barbara Lippe. „Jeder kann jedes Spiel kaufen – und trotzdem ist noch nie ein Schüler Amok gelaufen“. Das männliche Publikum lauscht Lippes Vortrag mit einer Mischung aus Faszination und Schaudern. Sie stellt den riesigen Markt in Japan vor, der gezielt die Interessen von Mädchen bedient. Die Hauptakteure dieser Spiele sind schöne Jungs: zart, androgyn und oft schwul, die nebenbei ein gleichberechtigtes Beziehungsmodell vorführen.

Lippes eigenes Spiel, die Online-Parallelwelt „Papermint“, müsste die Herzen der Unionspolitiker höher schlagen lassen: Bonbonbunte Comic-Charaktere à la „Hello Kitty“ tanzen und plaudern sich durch eine papierene Welt. Hier ist nichts ferner als der Anspruch der Fantasy- und Action-Spiele, ihre Nutzer in immer realere Szenarien abtauchen zu lassen. Statt Wettkampf zählt hier nur Kooperation und Beliebtheit unter den anderen SpielerInnen. „Die kulturelle Hegemonie der USA gibt es nicht mehr“, glaubt Barbara Lippe. Dazu würde dann auch ein Abschied von waffenfixierten Machtphantasien passen, die in der angesagten japanischen Kultur keine Rolle spielen.