Zuckungen im humanbiologischen Versuchslabor

Das Zaubermärchen unters Mikroskop gelegt: Mozarts „Zauberflöte“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels an der Komischen Oper Berlin

Hans Neuenfels hat den Maßstab seiner Inszenierung sehr hoch gelegt. Nirgendwo gleitet seine Zauberflöte ab in den Dunstkreis des gefühlvoll Erhabenen, der diese letzte Oper Mozarts seit je zum Problemfall macht. Reinhard von der Thannen, verantwortlich für Bühnenbild wie Kostüme, sperrt das Personal in einen minimalistischen weißen Untersuchungsraum ein, aus dem es keine Ausflucht gibt. Ein Tamino mit Brille, der einem englischen Internat entflohen zu sein scheint (Peter Lodahl), drei Damen in grauem Zweiteiler, drei perfekt singende Knaben, die wie Puppen am Seil geführt werden: Sie alle sind nur Kreaturen unter dem Mikroskop, die schwer verständlichen Antrieben gehorchen. Einsam jagen sie Illusionen nach, die Mozarts Wohlklänge in ihnen zu erzeugen scheinen und die sie willkürlich „Liebe“, „Weisheit“, „Mut“ oder auch „Rache“ nennen. Es sind nur die Namen für Gefühle, die wir zu kennen glauben, der kalte Blick dieser Inszenierung macht sie alle gleich. Es sind Zuckungen von Organismen, die versuchen, in der Versuchsanordnung dieser humanbiologischen Bühne davonzukommen.

Das ist ein bezwingendes Bild, das seine Kraft bis zum Ende behält. Sarastro und die Königin der Nacht, die Pole des angeblich Bösen und des angeblich Guten, überleben das Experiment nicht. Die eine verliert schon während ihrer ersten Parforcearie eine Hand und die Perücke, nach der zweiten, von Cornelia Götz makellos bewältigt, bricht sie leblos zusammen. „Sie hat ausgesungen“, sagt Elisabeth Trissenaar dazu, die „Spielleiterin“, die ihr Ehemann Neuenfels mit zwei weiteren Sprechrollen eingeführt hat. Ihr mäßig komisches Spiel behindert eher die Fantasie, als dass es die Einsicht in die ohnehin überdeutlichen Absichten des Regisseurs befördert. Der junge James Creswell sitzt als Sarastro im Rollstuhl, den drei Löwen auf die Bühne schieben. Nach seinen letzten Worten sinkt er tot in sich zusammen. Ungerührt singen die Priester ihren Triumphchor zu Ende.

Selten klang Mozart so unerbittlich prächtig wie hier, und ganz sicher hat Neuenfels recht, wenn er meint, dass hinter dieser perfekten Oberfläche schon immer ein tief melancholischer Zweifel lauerte. Markus Poschner, der Dirigent, lässt ihn mit einer zurückhaltend eleganten, durchsichtig beweglichen Interpretation der Partitur wunderbar mithören, dennoch ist der Preis der begrifflichen Entzauberung hoch. Das zeigt sich, sobald es dem Orchester und den Solisten trotz allem gelingt, Mitgefühl zu wecken. Wenn Maria Bengtsson mit ihrer warmen Stimme Pamina über den Verlust der Liebe klagen lässt, klingt die Sehnsucht nach einem echten Glück auf. Doch nicht Tamino, nur Jens Larsens Papageno stößt ebenfalls in diese Dimension vor. Ausgerechnet der Schlager „Ein Mädchen oder Weibchen“ wird bei ihm zu einem kleinen Wunder der Variation tief anrührender Wünsche, verbittert, voll stiller Trauer, schließlich zornig – vielleicht auch auf diesen Käfig, in den Neuenfels alle zusammen gesteckt hat: Den paar Buhrufern in der Premiere zumindest mag es so ergangen sein.

NIKLAUS HABLÜTZEL