nebensachen aus brüssel
: Deutsche Besonderheiten: Der EU-Botschafter, der kein Omnibus ist

Auf den den ersten Blick ist es ein ganz normaler Morgen: Der deutsche Botschafter bei der EU geht mit Journalisten die Tagesordnung für das nächste Außenministertreffen durch. Mit der ihm eigenen Bedächtigkeit und der Liebe des Juristen zum Detail arbeitet Wilhelm Schönfelder die Kapitel ab. Einige Kollegen dösen. Die spannenden Themen, das wissen sie aus Erfahrung, stehen nicht auf der Tagesordnung, sondern werden informell beim Mittagessen erörtert.

ARD-Krause stellt eine seiner fein-ironischen Fragen. Zwischen ihm und dem Botschafter funktioniert das wie bei einem alten Ehepaar: Ping macht Krause, pong macht Schönfelder. Doch heute sind nicht nur deutschsprachige Journalisten im Raum. Solange Deutschland die Ratspräsidentschaft innehat, erläutert der Botschafter sechs Monate lang die Tagesordnung dem gesamten Brüsseler Pressecorps mit Simultanübersetzung ins Englische und Französische.

Als er ARD-Krause nun mitteilt, seine unbotmäßige Bemerkung koste ihn ein Bier, schweigen die Dolmetscher verblüfft. Doch es kommt noch besser. Ein britischer Kollege stellt auf Englisch eine hypothetische Frage zur Regierungsbildung in Serbien. Schönfelder lacht: „Ihre deutschen Kollegen wissen schon, was jetzt gleich kommt .“ Dann sagt er auf deutsch, was er auf hypothetische Fragen immer antwortet: „Da muss ich meine Oma zitieren. Wenn ich vier Räder hätte, wär’ ich n’ Omnibus.“

Der Brite lauscht angestrengt in seinen Kopfhörer. Er scheint nicht sicher, ob jetzt er ein Verständnisproblem hat, ob es vielleicht bei der Dolmetscherin hakt – oder gar beim Botschafter? „If I had four wheels I would be a bus“, sagt die Dame in der Glaskabine gerade leicht stockend.

Man mag rätseln, was den amtierenden Ratsvorsitzenden dazu treibt, der Veranstaltung einen so innerdeutschen Stempel aufzudrücken. Vielleicht ist dieser lockere Umgang mit der eigenen Muttersprache Teil des neuen deutschen Selbstbewusstseins. Die Briten wählen ihre Sprüche ja auch nicht danach aus, ob sie sich gut übersetzen lassen.

Doch sie können darauf bauen, dass ihre Muttersprache von den meisten Journalisten verstanden wird. Zwar haben an diesem Morgen bei der Pressekonferenz der deutschen Ratspräsidentschaft nur wenige Kollegen Kopfhörer auf. Jeder fünfte in Brüssel akkreditierte Journalist arbeitet für deutsche Medien, ein hoher Prozentsatz der übrigen versteht deutsch – wenn auch nicht unbedingt die Schönfelder’sche Variante. Die Übrigen aber sind vom Informationsfluss abgeschnitten.

Ende Januar schickte die Vertretung der Auslandspresse bei der EU dem Herrn Botschafter einen ziemlich unfreundlichen Brief. Es habe eine Menge Beschwerden darüber gegeben, dass Kanzlerin Merkels Rede am 16. Januar vor dem EU-Parlament erst 24 Stunden später in englischer und französischer Übersetzung vorgelegen habe. „Dies ist auch deshalb besonders bedauerlich, da es sich um eine sehr komplexe Rede handelte.“ Diese Einschätzung kann man teilen oder nicht. Sie passt sicher gut ins Klischee der Nation der Dichter und Denker. Doch wenn der Arbeitsstil einer Ratspräsidentschaft dazu beiträgt, olle Stereotype aus der Mottenkiste zu holen, dann läuft ganz sicher etwas falsch. DANIELA WEINGÄRTNER