ausgehen und rumstehen
: Während der Klimawandel einen Zahn zulegt, lagert man im Sony-Center an Sony-Bächlein

S’ ist wieder Herbst geworden. Die Zeit des Nachsinnens ist angebrochen, wir werden uns der eigenen Vergänglichkeit bewusst. Sind wir nicht längst selbst im Herbst des Lebens angelangt? Von wegen! Der goldene November scheint geradewegs in einen goldenen Dezember überzugehen und warme Luftströme lassen kitschige Frühlingsgefühle aufkommen. Die ganze Innerlichkeit geht da flöten, während man eigentlich zaudernd zitternd in die Novemberdepression fallen müsste.

Aber zum Glück gibt es ja in unserem lieben Berlin so viele Angebote, die einen runterziehen können! Wer also eine Verflachung des depressiven Charakters befürchtet, dem sei ein Ausflug in die Schaubühne empfohlen. Dort gibt man zurzeit Tschechows „Drei Schwestern“, und quälende drei Stunden lang lässt sich dort auf harten Sitzen die ganze Unbill des Seins erfahren. „Ich bin sooo unglücklich, ich will hier weg, ich bin sooo hässlich, ich werde niemals hier raus kommen!“, schreien die Schauspielerinnen und bewegen sich dazu in kratzigen Kostümen ungelenk über die Bühne. Danach fühlt selbst der rosigste Sanguiniker wieder die Schwere der eigenen Existenz.

Nach diesem Downer verortete man sich gen Wochenende wenigstens kulturell im Novembernebel, aber dann legte der Klimawandel noch mal einen Zahn zu. Ein laues Lüftchen wehte durchs Sony-Center, Menschen lagerten neckisch an den eingefassten Sony-Bächlein. Und dazu der neue Bond mit dem durch und durch feinen Daniel Craig! Vielleicht ist „Casino Royale“ wirklich der beste Bond aller Zeiten, und vielleicht leben wir sogar in der besten aller möglichen Welten?

Am Sonntagabend sollte dann in der Stillen Post in der Brunnenstraße Schneider TM gänzlich unverstärkt Lieder vortragen. Die Stille Post ist ja bereits architektonisch ein außergewöhnliches Kleinod von Laden, eine Theatertreppe führt ins Nichts und unglaubliche Details wie Wurzellampen mit roten Partyglühbirnen brechen geschickt die allzu gemütliche Wohnzimmeratmosphäre.

Schneider TM hatte sich mit der akustischen Gitarre in einer Ecke niedergelassen, erzählte von schrecklichen Bars bei Bielefeld und interessanten Schmerztabletten und spielte und sang einfach immer so weiter, ganz unprätentiös. Und so ging diese Woche unter der fürsorglichen Leitung von James Bond und Schneider TM aufs Schönste und Heiterste ihrem Ende zu.

CHRISTIANE RÖSINGER