Die Türkei bleibt gelassen

Niemand hatte in der Türkei erwartet, dass ein Wunder geschehen würde und die EU das aktuelle Zypernproblem doch noch lösen würde. Und moralisch fühlt man sich im Recht

ISTANBUL taz ■ In der Türkei ist das endgültige Scheitern der EU bei der Zypernfrage ohne große Aufregung zur Kenntnis genommen worden. Niemand hatte erwartet, dass plötzlich noch ein Wunder geschehen würde. Auch dem EU-Gipfel am 14. Dezember sieht man hier mit relativer Gelassenheit entgegen. Zum einen sieht man sich in der Zypernfrage moralisch im Recht. Es gibt in der Türkei keine ernsthafte Stimme, die die Regierung jetzt auffordern würde, den Forderungen der EU nachzukommen, ohne dass nicht gleichzeitig das Embargo gegen den türkisch-zypriotischen Nordteil der Insel aufgehoben wird.

Schließlich haben die türkischen Zyprioten im Frühjahr 2004, anders als die Griechen, mit großer Mehrheit für den UN-Plan zur Vereinigung Zyperns gestimmt. Damals hatte die EU den türkischen Zyprioten zugesichert, dass man wenigstens ihre Isolation aufheben wird. Bevor die EU dieses Versprechen nicht erfüllt, weil die griechischen Zyprioten dies blockieren, wird Ankara die Zollunion nicht umsetzen.

Zum anderen ist die Androhung, beim kommenden EU-Gipfel einige Verhandlungskapitel zu suspendieren, schon deshalb keine Aufregung wert, weil die Verhandlungen de facto längst auf Eis liegen. Seit im Mai das erste Kapitel über Wissenschaft und Forschung eröffnet und wenig später erfolgreich geschlossen wurde, finden keine Verhandlungen mehr statt. Da die EU erstmalig beschlossen hat, jedes Kapitel nur nacheinander zu behandeln, findet seitdem nichts mehr statt, weil die griechischen Zyprioten ihre Zustimmung zur Eröffnung jedes neuen Kapitels bislang verweigern.

In der Türkei mehren sich deshalb die Forderungen, von sich aus die Verhandlungen für eine beiderseitige Denkpause auszusetzen. Dahinter steckt die Überlegung, dass zunächst die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich und der Türkei im kommenden Jahr vorüber seien müssten, bevor man die Kräfteverhältnisse dann neu sortiert. Jürgen Gottschlich