Die Insel, die kein Pfeiler sein will

Auf Fehmarn sind viele Menschen nicht gerade angetan von dem Plan, eine Brücke nach Dänemark zu schlagen. Der Tourismus würde über Jahre unter der Großbaustelle leiden. Die im Halbstundentakt verkehrende Fähre müsste eingestellt, ihre Beschäftigten entlassen werden

Von Fehmarn GERNOT KNÖDLER

Michael Schulz wechselt stündlich den Arbeitsplatz. Mit einem streichholzgroßen Stiftchen steuert der Kapitän eine Fähre auf der Vogelfluglinie zwischen Puttgarden und Rødby. Kaum gelandet, läuft Schulz übers oberste Deck zum „Heck“, um dort das Kommando zu übernehmen. Damit die Schiffe nicht wenden müssen, wurden sie mit zwei Brücken ausgestattet.

Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, pendeln vier Schiffe über den Fehmarnbelt zwischen Deutschland und Dänemark. Eine Dreiviertelstunde lang sind sie unterwegs, 15 Minuten lang liegen sie im Hafen. Alle halbe Stunde startet ein Schiff. Heute stellt sich Kapitän Schulz mal wieder die Frage: Wie lange noch?

In Berlin beratschlagen die Verkehrsminister von Deutschland, Dänemark und Schleswig-Holstein, ob sie nicht doch eine Brücke über den Fehmarn-Belt bauen können. Eine Brücke über die gut 19 Kilometer breite Wasserstraße zwischen Deutschland und Dänemark verheißt freie Auto-Fahrt vom Nordkap bis zum Mittelmeer. Seitdem die Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö 1999 eröffnet wurde, ist der Fehmarnbelt die einzige Stelle, an der sich Autofahrer noch aufs Schiff bequemen müssen, um weiter zu kommen.

Nach den jahrelangen Diskussionen über eine feste Fehmarnbelt-Querung wäre es an der Zeit für eine Entscheidung, findet Bernd Friedrichs. Der Betriebsrat des deutsch-dänischen Fährunternehmens Scandlines sähe gerne eine Zukunft für sich selbst und gut 1.200 Kollegen in beiden Ländern. Nach so vielen Jahren bezweifelt Friedrichs aber, dass er nach dem heutigen Treffen schlauer sein wird. Der Kampf gegen das Sechs-Milliarden-Euro-Projekt wird ihn wohl noch ein paar Jährchen beschäftigen.

Friedrichs ist „aus vielen Herzen“ gegen die Brücke, wie er sagt: als Nautiker, als Sozi, als Fehmarner und als Betriebsrat. Er fände es schade, wenn die Schiffe nicht mehr führen, wenn Fußgänger und Radler nicht mehr auf die andere Seite kämen und die Insel Fehmarn auf einen Brückenpfeiler reduziert würde, Transitland, auf dem keiner Halt macht. Das Argument, der Bau einer festen Belt-Querung helfe, die randständige Region zu entwickeln, hält er für Unsinn. „Wenn was entsteht, dann vielleicht in Hamburg oder Kopenhagen“, sagt er.

300 Familien auf der Insel lebten von der Fährlinie, schätzt der Inselbürgermeister Otto-Uwe Schmiedt – von der Fährlinie und dem, was dazu gehört: dem Putzen, Reparieren, Beliefern, Abfertigen. 650 Tonnen Pommes Frites und 80 Tonnen Schnitzel im Jahr lässt Kapitän Schulz an Bord bringen.

Auch der Schnapsverkauf sorgt für Beschäftigung. Weil Alkohol in Dänemark mit besonderen Steuern belegt ist, machen viele Dänen gerne einen kleinen Ausflug nach Puttgarden. Vier Euro im Winter, sieben Euro im Sommer kostet ein Tagesticket. 450.000 solcher Tickets verkauft Scandlines pro Jahr, bei einem Passagieraufkommen von insgesamt 6,7 Millionen.

Wer herüberkommt, den führt eine Holzbrücke zum „Bordershop“, einem schwimmenden Kaufhaus neben der Fährstelle. Der Kasten ähnelt selbst einer Fähre und hindert die Tagesgäste daran, zu Aldi oder Lidl weiterzufahren. Michael Engel aus Nykøbing, der mit seinem Sohn einen Einkaufsausflug macht, fände eine Brücke von Vorteil. „Faster“, stellt er auf Englisch fest. Etwa viermal im Jahr komme er herüber, entweder für einen Ausflug oder auf dem Weg nach Italien. Mit einer Brücke würde er 25 Minuten sparen, abgesehen von der Wartezeit.

Der Lastwagenfahrer Reinhard Baltes aus dem ostholsteinischen Lensahn sagt dagegen: „Das bringt keine Zeitersparnis.“ Er müsse ohnehin eine Dreiviertelstunde Pause machen. Die verbringt er an Bord mit dem Verspeisen eines Eisbeins. LKW-Fahrern gibt Scandlines 15 Prozent Rabatt. Für Baltes hat die Pause auf der Fähre sogar besonderen Charme: Er kommt dabei voran.

Die Fährverbindung scheint sogar zuverlässiger zu sein als es eine Brücke wäre. Die seit 1963 existierende Brücke vom deutschen Festland über den Fehmarn-Sund auf die Insel ist in der Regel jedes Jahr mehrere Tage lang für leere Laster und Autos mit Anhängern gesperrt, 2006 an zehn Tagen und in diesem stürmischen Jahr schon neunmal.

Sollte die Belt-Brücke gebaut werden, würde die zweispurige Sund-Brücke nicht mehr ausreichen, ebenso wenig wie die zwar autobahnähnlich angelegte aber zweispurige Bundesstraße die über die Insel führt. Der Ausbau dieser „Hinterlandanbindung“ müsste ebenfalls bezahlt werden und würde Fehmarn eine zusätzliche Dauerbaustelle bescheren. „Es wird einen Rieseneinbruch bei unseren Gästen geben“, befürchtet Bürgermeister Schmiedt. Das müsse ausgeglichen werden.

Bleibt der Naturschutz, um die Riege der Brückengegner zu vervollständigen. Der Naturschutzbund Nabu pflegt an der Fehmarner Westküste in Wallnau eine 30 Hektar große Naturschutzstation, in der die Touristen aus Verstecken Vögel beobachten können. Die größte deutsche Naturschutzorganisation hat gestern zusammen mit der größten dänischen, Danmarks Naturfredningsforening, an Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert, auf die Brücke zu verzichten. Sie befürchten, dass die Brücke, die quer zu einem Strom des Vogelzuges steht, wie ein Kescher Vögel fangen würde. Längst nicht alle, aber doch so viele, dass gefährdete Arten zusätzlich geschwächt würden.