Kohlestrom kommt in Bedrängnis

Gaskraftwerke sind klimafreundlicher und sogar billiger als mit Kohle betriebene, hat Bremens Umweltsenator erheben lassen. Geht es nach dem Bundesumweltministerium, müssen Kohle-Stromer zudem teure Emissions-Zertifikate zukaufen

aus Bremen ARMIN SIMON

Energieversorgungsunternehmen in Norddeutschland lieben die Kohle: Der schwarze Brennstoff ist auf dem Weltmarkt billig zu bekommen, und er lässt sich per Schiff gerade an der Küste bequem in rauen Mengen anliefern. Fünf neue Mega-Kohlekraftwerke sollen in den nächsten Jahren allein in Norddeutschland entstehen – und jährlich über 30 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen. Mit Erdgas betriebene Kraftwerke würden nur halb so viel Treibhausgase emittieren. Gas aber, so die einmütige Argumentation von Electrabel, Vattenfall und der Bremer SWB AG, rechne sich nicht.

Ein vom Bremer Umweltsenator Ronald-Mike Neumeyer (CDU) in Auftrag gegebenes Gutachten belegt jetzt das Gegenteil. Neumeyer ließ das von der Bremer SWB geplante 800-Megawatt-Steinkohlekraftwerk mit einem gleich großen Gas- und Dampfturbinenkraftwerks (GuD) auf Erdgasbasis vergleichen, und zwar unter ökologischen wie wirtschaftlichen Kriterien. Das Gaskraftwerk schnitt in beiden Vergleichen besser ab als das mit Kohle betriebene.

Was die Umweltauswirkungen angeht, überrascht das nicht. Dass bei der Verbrennung von Erdgas weniger schädliche Abgase entstehen als bei der von Kohle, ist bekannt. Und selbst ein großes Kraftwerk, wie das hier im Modell untersuchte, ohne angeschlossenes Fernwärme-Netz kann die im Erdgas enthaltene Energie zu 58 Prozent in Strom umsetzen – was deutlich effizienter ist als selbst ein modernes Kohlekraftwerk mit 45 Prozent. Entsprechend weniger Abwärme heizt nutzlos den Fluss auf.

Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geht das Gaskraftwerk dem Gutachten zufolge als Sieger hervor: Sowohl für die Entwicklung der Gas- und Kohlepreise als auch für den Handel mit Emissions-Zertifikaten haben die Gutachter verschiedene Szenarien untersucht. „In allen betrachteten Varianten wurde für das GuD-Kraftwerk eine höhere Wirtschaftlichkeit ermittelt als für das Steinkohlekraftwerk“, teilte Neumeyer gestern mit. Details der Berechnung gab er nicht preis: Die SWB habe die Behörde zur Geheimhaltung verpflichtet.

Neumeyer, der bis vor einem Jahr selbst in leitender Position bei dem Energieversorger beschäftigt war, wertete das Gutachten als „gute Basis, um die energie- und umweltpolitische Diskussion über den Neubau eines Kraftwerks in Bremen sachgerecht weiterzuführen“. Er werde die SWB bitten, „die klimafreundliche Alternative eines GuD-Kraftwerks auf Erdgasbasis noch einmal sorgfältig zu prüfen“. Das Kohlekraftwerk, das die SWB plant, würde die CO2-Emissionen Bremens um fast die Hälfte steigern.

Die SWB verwies gestern auf ihre eigenen Wirtschaftlichkeitsberechnungen: Diese hätten eindeutig der Kohle den Vorzug gegeben. Den Widerspruch erklärte Sprecherin Petra Gaebe mit „grundlegend anderen Prämissen“ des Behörden-Gutachtens, von denen einige „die Realität nicht widerspiegeln“. Dies gelte insbesondere für die zugrunde gelegten Rohstoffpreise. Gas sei zumindest derzeit „in diesen Liefermengen nicht zu diesen Preisen“ erhältlich. Die SWB sei sich aber ihrer „ökologischen Verantwortung für Bremen bewusst“. Man werde daher mit dem Umweltressort „alle Punkte nochmal durchsprechen“.

Handfeste Nachhilfe beim Meinungswandel könnte die Bundesregierung liefern. Bisher wollte diese Energieversorger, die neue Kraftwerke bauten, gratis mit CO2-Emissionsrechten ausstatten – und zwar mit so vielen, wie das jeweilige Kraftwerk in 14 Jahren benötigte. Kohlekraftwerke hätten dabei fast doppelt so viele CO2-Zertifikate erhalten wie Gaskraftwerke – ein geldwerter Vorteil in dreistelliger Millionenhöhe. Nach Intervention der EU-Kommission ist dieses Verfahren inzwischen vom Tisch. Die Menge der den Kraftwerksbetreibern gratis zugestandenen Verschmutzungsrechte soll sich stattdessen am alle fünf Jahre neu evaluierten Stand der Technik orientieren – und nach dem Willen des Bundesumweltministeriums auch nicht mehr zwischen den verschiedenen Brennstoffen unterscheiden. Man strebe Emissionswerte an, die sich „eher an dem orientieren, was ein Gaskraftwerk ausstößt“, heißt es aus Ministeriumskreisen. Kohlekraftwerke, die pro Kilowattstunde Strom mehr CO2 ausstoßen, müssten dann für viel Geld CO2-Zertifikate zukaufen – der wirtschaftliche Vorteil gegenüber Gas, von dem die Energieversorger bisher ausgingen, wäre dahin.

In welchem Maße sich das Umweltministerium mit seinen Vorstellungen innerhalb der Bundesregierung durchsetzen kann, ist noch offen. Electrabel, Vattenfall und SWB wollten daher gestern noch keine Stellungnahmen abgeben. Veränderte Rahmenbedingungen jedoch, teilte SWB-Sprecherin Gaebe mit, würden „laufend“ in die eigenen Planungen einfließen, und zwar „bis zum endgültigen Baubeschluss“. Der Kohle-Boom im Norden könnte ein jähes Ende nehmen.