Wilhelmsburg in Weiss

SINTI-FESTIVAL Seit 170 Jahren ist die Familie Weiss in Hamburg zu Hause. Zum dritten Mal lädt sie am Wochenende mit Kulinarischem, Informationen, Ausstellungen und jeder Menge Musik zum „Elbinsel-Gipsy-Festival“

Stilistisch gibt hier ein entfernter Verwandter den Ton an: Django Reinhardt

VON ROBERT MATTHIES

Leicht gefallen ist die Umstellung vom Wohnwagen zum Haus damals nicht. Anfang der 80er zog die Sinti-Familie Weiss in die eigens für sie konzipierte Siedlung am Georgswerder Ring in Wilhelmsburg: 44 Reihenhäuser für rund 500 Menschen. Plötzlich hohe Decken. Da hat Emil Weiss doch Angst bekommen. Und hat sich einen Hammer geschnappt, kurzerhand eine Mauer rausgeschlagen und den Wohnwagen ganz dicht an die Hauswand gefahren. Schlafen konnte das heute über 80-jährige Oberhaupt der weitverzweigten Familie dann wieder am gewohnten Ort. Gekocht und gegessen aber wurde fortan im Haus.

Seit Jahrhunderten lebt die Familie in Deutschland, seit 170 Jahren ist sie in Hamburg zu Hause. Und obwohl Emil Weiss sich bemüht, Traditionen, Sprache und ungeschriebene Gesetze zu bewahren und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, leben die Jüngeren längst in einer anderen Welt. Oder besser: in zwei Welten, wie der 30-jährige Manusch 2009 in Suzan Sekercis preisgekrönter Dokumentation „Djangos Erben“ erzählt, die die „Elbinsel-Gipsies“ über mehrere Monate mit der Kamera begleitet. Denn obwohl auch die Jüngeren wie Manusch die Traditionen respektieren, werden sie langsam brüchig – überall macht sich der Umbruch bemerkbar. Die Jüngsten, erklärt Manuschs Tochter, sprechen nicht mal mehr richtig Romanes: „Wir sagen nicht mehr ‚Magodscha‘, das heißt Katze, wir sagen jetzt ‚Katza‘“.

Dabei ist kulturelle Eigenständigkeit bis heute allen ein zentrales Anliegen. Nicht zuletzt, weil auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft ringsum sich weiterhin schwertut, ihrerseits auf Sinti zuzugehen. Dass er nicht mal seinen Namen in den Personalausweis eintragen lassen darf, versteht Manusch – offiziell: Helmut – nicht: „Die türkischen Mitbürger heißen ja auch Ali und können dann nicht irgendwie Fritz heißen.“

Denn nicht domestiziert werden wollen die Weiss – sondern mit allen Unterschieden verstanden und anerkannt. Zum dritten Mal laden sie deshalb gemeinsam mit dem Bürgerhaus Wilhelmsburg zum „Elbinsel-Gipsy-Festival“: Damit „damit eventuelle Vorurteile, die heute noch bestehen, abgebaut werden“ gibt es am morgen zwei Tage Kulinarisches, Informationen, eine „gesellige Runde am Feuer“, eine Ausstellung mit „Gipsy-Gitarren“ und Produkten des Näherinnen-Projekts „Sick Subia“. Und jede Menge Musik – denn der Familie Weiss entstammen einige der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen Sinti-Jazz.

Den Auftakt macht wie in den letzten beiden Jahren das „Café Royal Salon Orchester“, der ganze Stolz der Familie. Dabei ist nicht jeder ein Weiss: Ohne Gitarrist und Manager Clemens Rating gäbe es das Sextett, in dem mit Bummel, Baro Kako, Pello und Kako Weiss drei Generationen der Familie versammelt sind, gar nicht; den Bass spielt Gerd Bauder, renommierter Hamburger Jazzer, der unter anderem auch mit dem „Massoud Godemann Trio“ und der „St. Pauli Jazzkapelle“ für Furore sorgt. Stilistisch gibt hier natürlich ein entfernter Verwandter den Ton an: Django Reinhardt, der Begründer des europäischen Jazz und Sinti-Swing. Dazu kommen ungarischer Czárdás, Wiener Caféhaus-Musik und Pariser Musette. Django Reinhardts Geist inspiriert auch das zweite Ensemble des Abends: der niederländische Gitarrist Paulus Schaefer ist mit seinem „Gipsy Trio“ und dem Geiger Wattie Rosenberg zu Gast.

Am Sonntag sind dann noch einmal zwei Ensembles zu hören. Zu Gast ist Multiinstrumentalist und Sänger Ismael Reinhardt, der unter anderem mit den Geigen-Virtuosen Schnuckenack Reinhardt und Titi Winterstein – zwei der wichtigsten Vertreter des deutschen Sinti-Swing – aufgewachsen ist, und entsprechend virtuos Jazz-Standards, Sinti-Swing und eigene Kompositionen zum Besten gibt. Den Abschluss macht das „Kako Weiss Ensemble“: Das Quintett verschmilzt Django Reinhardt mit dem Tango Nuevo Astor Piazzollas.

■ Fr, 18. 3. + Sa, 19. 3., Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße 20; www.buewi.de