Der Konzern der Kontrolleure

AUS KÖLN MORITZ SCHRÖDER

In seinem Büro in der 22. Etage fühlt sich Bruno Braun sicher. Das elegante schwarze Mobiliar ist mit hautschonendem Leder bespannt. Die blankpolierten Scheiben, die einen Rundblick auf die Vororte und Industriegebiete der Stadt Köln eröffnen, schützen den Raum vor den UV-Strahlen der warmen Mittagssonne. Sein Computermonitor ist ergonomisch geformt und strahlungsarm. Garantiert. Denn unter Bruno Brauns Füßen befindet sich eines der größten Überwachungsunternehmen der Welt. Die TÜV Rheinland AG mit Sitz in Köln beschäftigt heute rund 10.500 Menschen, die täglich in Chemielaboren, Gebäuden und Unternehmen die Sicherheitsstandards von Stoffen und Anlagen überprüfen.

Während AutofahrerInnen den TÜV von ihren regelmäßigen Schweißausbrüchen beim Gedanken an die nächste Haupt- oder Abgasuntersuchung kennen, weiß wohl kaum jemand, dass die Kölner AG inzwischen in nahezu allen Branchen nach Ecken und Kanten sucht. „Überall, wo Mensch, Technik und Umwelt aufeinander treffen, müssen schließlich gewisse Standards eingehalten werden“, sagt Braun, der zurückgelehnt in seinem reizarmen Ledersessel sitzt. In sechs Tochtergesellschaften sammeln sich Fachleute für Aufzüge, Druckkessel, Hallendächer oder Kunststoffwaren. Sie untersuchen, meist für Privatunternehmen, ob alle gesetzlichen Normen und Standards eingehalten werden. Dazu kommen Psychologische Gutachten oder Tests von Wellnessprogrammen und Lebensmitteln.

Umweltverbände dürften dem TÜV eher mit Hassliebe begegnen, verdient der sein Geld unter anderem mit Kontrollen von Atomanlagen. Auch Bank- und ComputerexpertInnen gehören zum TÜV Rheinland. „Wenn sie wollen, hacken wir ihren Computer, um Sicherheitslücken festzustellen“, bietet Braun beinahe gelangweilt an.

Der studierte Maschinenbauer und Diplom-Ingenieur leitet die TÜV Rheinland AG schon seit rund 14 Jahren. Als er anfing, war das Unternehmen noch stark mit der Region Rheinland verbunden. Gegründet wurde der TÜV-Vorläufer „Dampfkessel-Überwachungs-Vereine Cöln-Düsseldorf“ (DÜV) schon im Jahr 1877, damals noch mit dem vorrangigen Ziel, die Arbeitsunfälle durch explodierende Kessel in der rheinischen Industrie zu senken. Seit 1900 kamen auch Fahrzeuginspektionen und Anlagenprüfung im Bergbau- und Energiebereich hinzu. 1936 wurde der Technische Überwachungs-Verein in Köln gegründet. Dass die heutige TÜV AG, deren Aktien nach wie vor in der Hand eines Vereins sind, das Ableben von Großindustrie und Bergbau trotzdem überlebt hat, liegt am radikalen Umbau zu einem Konzern, der sich Geschäftsfelder in inzwischen 60 Ländern der Welt gesucht hat. Rheinländischen Patriotismus kann heute höchstens noch erregen, dass der Kölner TÜV etwa den Sprühmechanismus von 4711-Fläschchen auf seine Qualität prüft.

Der Steinkohle weint Bruno Braun, der für den Gang ins Ausland verantwortlich zeichnet, daher keine Träne nach: „Damals waren wir die ersten in Deutschland, die außerhalb expandiert haben. Das sichert heute unsere Arbeitsplätze in Deutschland“, sagt der 64-jährige Schnauzbartträger, der selbst fließend Englisch, Französisch und ansatzweise Spanisch spricht. In Lettland und Chile übernimmt der TÜV Rheinland heute schon komplett die Auto-Hauptuntersuchung für den Staat. Auch in Argentinien und dem Senegal testet der Konzern Fahrzeuge auf ihre Sicherheit. In China prüfen 1.000 Beschäftigte unter anderem die Qualität von Produkten, die später etwa in deutschen Kinderzimmern landen. Auf 900 Millionen Euro Jahresumsatz kam der Konzern im Jahr 2006 und wuchs mit 15 Prozent außerhalb Deutschlands fast doppelt so stark wie im Inland.

Von staatlichen Aufträgen ist die TÜV Rheinland AG inzwischen weitgehend unabhängig. Hoheitliche Aufgaben wie die Sicherheitskontrolle von Autos waren für die Prüfer ohnehin nie nur vorteilhaft. Trotz der marktbeherrschenden Stellung in diesem Bereich konnte das Unternehmen die Preise nicht selbst bestimmen. Bruno Braun hat sich deshalb gern „vom Staat getrennt“ und meint, damit auch ein Stück preußischer Arbeitskultur überwunden zu haben: „Früher haben wir noch eher beamtenmäßig gearbeitet. Durch die große Konkurrenz auf dem Markt müssen wir uns heute ständig weiterentwickeln. Das formt die eigene Linie.“ In diesem „Selbstfindungsprozess“, wie der Vorstandsvorsitzende die Entwicklung zufrieden beschreibt, müsse sich der TÜV immer wieder gegen Konkurrenz behaupten.

In Deutschland sind große Mitbewerber um Prüfaufträge etwa die DEKRA oder die Gesellschaft für Technische Überwachung aus Stuttgart. Auch weitere fünf TÜV-Unternehmen in der BRD, darunter vor allem die großen TÜV-Nord und TÜV-Süd, sind als Konkurrenz am Markt. Aus dem Ausland spielt etwa die französische Bureau Veritas mit. Seit dem vergangenen Jahr dürfen auch ausländische BewerberInnen in Deutschland technische Anlagen überwachen. Diese Aufgabe lag früher fest in TÜV-Hand, bis die EU das Monopol roch und beendete. Die Kfz-Hauptuntersuchung ist schon seit 1989 für Konkurrenz freigegeben, wird aber freilich immer noch vorwiegend mit den drei großen Buchstaben in Verbindung gebracht.

So ganz ohne Monopol kommt der TÜV Rheinland aber doch nicht aus. Zumindest was die eigenen Angestellten betrifft, hat er sich in seinem 45-jährigen Bestehen einen deutlichen Marktvorteil erarbeitet. In den unternehmenseigenen Akademien geben die Beschäftigten ihr Wissen an Auszubildende weiter. So zieht sich der TÜV Rheinland, nach Eigenangaben drittgrößter privater Weiterbilder in Deutschland, die benötigten IngenieurInnen von morgen heran. KonkurrentInnen müssen hingegen auch mal länger nach qualifiziertem Personal suchen. Kritik musste sich der nach wie vor größte Anbieter von medizinisch-psychologischen Untersuchungen auch schon wegen seiner Vormachtstellung für die so genannten Idiotentests anhören. Deren Qualität sei oft gering, die TÜV-Beratungsgespräche für Betroffene zu teuer, kratzt etwa das Gutachterunternehmen „Basis 98“ am kundenfreundlichen Image.

TÜV-Chef Braun kann das Wort Alleinanbieter nicht mehr hören: „Heute sind wir nur noch bei Führerscheinprüfungen Monopolist“, sagt Braun und winkt ab. Er weiß, das eigentliche Geschäft läuft heute längst in anderen Bereichen. Denn neue gesellschaftliche und technische Entwicklungen verlangen immer wieder neue Standards und Normen, die überprüft werden müssen. Der Schönheits- und Fitnessboom etwa beschert dem TÜV Rheinland zurzeit viele neue Aufträge, genauso wie das Altern der Gesellschaft: „Die Altenheime müssen schließlich auch ordentlich geführt werden und technisch in Ordnung sein“, beschreibt Braun nüchtern. Eine weitere Wachstumsbranche ist die Sonnenenergie. Über 50 Prozent alle verkauften Solaranlagen werden laut Unternehmen in den Kölner TÜV-Labors getestet. Auch die Überprüfung sozialer Standards gehört heute zum Repertoire. Damit ein Teppichproduzent im Lichte der kritischen Öffentlichkeit nicht seinen Namen verliert, lässt er von dem TÜV zum Beispiel überprüfen, dass seine Hersteller keine Kinder arbeiten lassen.

Die Palette an Arbeitsfeldern lasse sich daher beliebig erweitern, sagt Braun. Trotzdem möchte er mit dem Klischee der deutschen Ordnungswächter aufräumen: Die Regelungswut der Industriekultur wirke zwar noch nach, „es gibt aber heute viele Länder mit strengeren Sicherheitsregeln, etwa Indien.“ Lediglich von einem kleinen Vertrauensvorsprung könnten deutsche Unternehmen noch profitieren, „aber der wird jeden Tag kleiner. Da darf man sich nichts vormachen“, sagt Bruno Braun – und schlendert aus dem wohl bestüberwachten Büro der Welt. Gedanklich ist er schon in Schanghai, wo er nächste Woche die TÜV-Labore begutachten will.