pflege-missstand
: Mehr Kontrollen reichen nicht

Der Verdacht ist ungeheuerlich: In einem Berliner Pflegeheim sollen einer Patientin Psychopharmaka verabreicht worden sein, damit sie bei einer Visite elend aussieht – und dem Heim so mehr Geld einbringt, weil sie in eine höhere Pflegestufe eingruppiert wurde. Ein solches Verhalten wäre durch nichts zu entschuldigen – weder durch Überforderung Einzelner noch durch zu wenig Personal noch durch angeblich zu niedrige Pflegesätze. Es wäre schlicht kriminell.

Kommentar von RICHARD ROTHER

Immerhin ermittelt die Staatsanwaltschaft – wegen Körperverletzung und Betrug. Ihr ist ein schneller Ermittlungserfolg zu wünschen. Vor allem stellt sich die Frage, ob hier möglicherweise systematisch vorgegangen wurde. Dass zu geringe Pflegesätze mitverantwortlich sein könnten, ist jedoch eine falsche Annahme: Wer die kriminelle Energie aufbringt, Menschen um finanzieller Vorteile willen zu schädigen, würde dies erst recht tun, wenn ihm seine Tat aufgrund höherer Pflegesätze mehr Gewinn einbrächte.

Noch wichtiger als die Aufklärung des aktuellen Falls ist aber, Missstände in den Heimen von vornherein zu bekämpfen. Dass Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) jetzt Kontrollen ausweiten will, ist zwar richtig – es mag aber nicht so recht beruhigen. Muss man wirklich zwei Drittel aller Heime jährlich kontrollieren, damit dort pflegebedürftige Menschen anständig behandelt werden?

Staatliche Kontrollen – und gegebenenfalls strafrechtliche Ermittlungen – können eines nicht bewirken: die dringend nötige gesellschaftliche Aufwertung der Pflege insgesamt. Dafür ist jeder Einzelne gefordert. Wenn Angehörige sich aus der Verantwortung stehlen und ihre Pflegebedürftigen nach dem Motto „Aus den Augen – aus dem Sinn“ abschieben, haben Kriminelle ein leichtes Spiel.