Bleiberecht ist ein heimlicher Renner

Das Interesse von Flüchtlingen an der Bleiberechtsregelung ist groß, Anträge werden aber nur wenige gestellt. Senatorin will Nachbesserungen

Offiziell ist das Interesse von Flüchtlingen, die die neue Bleiberechtsregelung nutzen wollen, gering. „Wir haben lediglich einzelne Anträge“, sagte eine Sprecherin der Innenverwaltung der taz. Nach Schätzungen von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) haben 2.200 der 8.800 geduldeten Flüchtlinge in Berlin eine realistische Chance auf ein Bleiberecht nach der Altfallregelung, die die Innenministerkonferenz Mitte des Monats beschlossen hatte. Die größten Gruppen seien Palästinenser und Bürger aus den Nachfolgestaaten Exjugoslawiens.

Beratungsstellen und auf Ausländerrecht spezialisierte Rechtsanwälte beschreiben ein anderes Bild. „Die Bleiberechtsregelung hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, viele Mandanten fragen deshalb nach“, sagt Rechtsanwalt Ronald Reimann. Von einem „riesigen Interesse“ sprechen auch sein Anwaltskollege Dieter Kierzynowski, Elisabeth Reese vom Verein „Asyl in der Kirche“ und Walid Chahrour, Koordinator von „Jugendliche ohne Grenzen“.

Ein Bleiberecht soll laut der neuen Regelung bekommen, wer lange genug in Deutschland lebt, Deutsch spricht, keine gravierenden Straftaten begangen hat und bis September kommenden Jahres Arbeit findet. Kinder müssen die Schulpflicht erfüllen.

Der Grund für die unterschiedliche Einschätzung bei Innenverwaltung und Experten über die Akzeptanz der neuen Regelung könnte sein, dass Anwälte und Beratungsstellen die Flüchtlinge derzeit noch beim Stellen von Anträgen bremsen. Denn laut Elisabeth Reese gebe es noch nicht einmal eine Weisung des Senates an die Ausländerbehörde, wie die Anträge bearbeitet werden sollen.

Eher gering ist die Nachfrage jedoch unter vietnamesischen Flüchtlingen, hat Tamara Hentschel vom Hilfsverein Reistrommel bemerkt. „Viele resignieren von vornherein, weil sie zu schlecht Deutsch sprechen oder Straftaten begangen haben“, sagt sie. „Die abgelehnten Asylbewerber sehen oft nicht, dass sie bis September nächsten Jahres viel Zeit haben, ihr Deutsch zu verbessern.“

Für Elisabeth Reese ist denn auch das weitaus größere Problem angesichts der hohen Arbeitslosigkeit die Jobsuche. Zwar weiß die Beraterin, dass viele Flüchtlinge hoch motiviert sind für den Arbeitsmarkt. Doch die Jobs, die sie finden können, sind meist schlecht bezahlt. „Wer eine große Familie versorgen muss, hat ein Problem, sie allein vom Arbeitseinkommen im unteren Bereich zu ernähren“, berichtet Rechtsanwalt DieterKierzynowski über die Probleme vieler arabischer Mandanten. Beziehen die Betroffenen zusätzlich Sozialleistungen, kann es hingegen Probleme geben mit dem Bleiberecht.

Integrationssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) fordert unterdessen Nachbesserungen für die Bleiberechtsregelung, weil zu wenige Menschen davon profitierten. „Dass eine selbstständige Tätigkeit keine Voraussetzung sein soll für eine Aufenthaltserlaubnis, ist eine große Lücke. Viele Geduldete in Berlin haben vor allem als Selbstständige eine Chance.“

Die Linkspartei-Senatorin kritisiert zudem, dass Menschen ausgeschlossen werden, die lediglich geringe Straftaten begangen hätten. So sei etwa das Strafmaß von 50 Tagessätzen, das zum Ausschluss von der Regelung führe, gerade für männliche Jugendliche zu streng.

Elisabeth Reese sieht das ähnlich: „Wenn eine ganze Familie aus dem Bleiberecht rausfällt, weil der Vater vor fünf Jahren in einem Geschäft geklaut hat, ist das hart.“ Marina Mai