HERRLICHES CHAOS
: Die Modenschau

Die Frau sagt: „Das mit der Frauke werde ich dir nie verzeihen“

Ein Sommerabend in Prenzlauer Berg. Vor dem Café Spreegold an der Ecke Schönhauser Allee/ Stargarder Straße hat sich eine Menge gebildet. Aus Lautsprechern wummern elektronische Beats. Ich bin neugierig.

Es findet eine Modenschau statt. Auf Highheels präsentieren einige Models die neueste Kollektion irgendeines Underground-Designers. Der Laufsteg ist der öffentliche Raum, ist die Kreuzung. Mitunter posieren die Models mitten auf der Fahrbahn. Die Autofahrer sind irritiert, manche hupen, andere umkurven sie fluchend. Zwei hippe Fotografen knipsen aufgeregt. Ein kleines Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, imitiert die Fotografen mit ihrem Handy. Die Mutter schreit: „Lena, aber nicht auf der Straße!“ Einige Fußgänger können den jungen Damen gerade noch ausweichen. Ein älterer Herr fragt: „Wat sollen dette hier?“ Die U2 braust oben auf der Hochbahn vorbei, der Tramfahrer bimmelt mit seiner Warnglocke, Hunde bellen laut auf. Es ist ein herrliches Chaos.

Das gestylte Fachpublikum trägt Sommerhüte und nippt leicht gelangweilt am Sekt. Die Passanten tragen bunte T-Shirts und essen Eis. Die Models laufen lasziv durch die Menschenmenge. Neben mir steht ein älteres Ehepaar. Die Frau sagt: „Das diese Mädchen immer so dünn sein müssen. Die leiden doch bestimmt alle an Bulimie.“ Ihr Mann antwortet: „Ja, aber schöne lange Beine haben die schon.“ Die Frau sagt: „Das ist ja mal wieder typisch. Du schaust ihnen nur auf die Beine und auf den Arsch. So wie damals bei der Frauke.“ Der Mann sagt: „Jetzt kommst du schon wieder mit dieser Geschichte. Über zwanzig Jahre ist das schon her. Kannst du denn nie damit aufhören.“ Die Frau sagt: „Das mit der Frauke werde ich dir nie verzeihen.“ Der Mann sagt: „Musst du uns diesen schönen Abend schon wieder verderben.“ Danach verließen sie schweigend die Modenschau.

ALEM GRABOVAC