Heiliger Hammer zum Quadrat

Draußen herbstelt es sich eins. Zeit für Palindrome. Wenn sie denn nur hinhauen

Er habe, las ich in Thomas Kapielskis Buch „Weltgunst“, das Frühjahr 2002 unter anderem damit hingebracht, den Blättern beim Wachsen zuzusehen. „Fernerhin“, erzählt Kapielski, „habe ich mich über Wochen an einer funktionierenden Deutschfassung der SATOR-Formel versucht; die ebenmäßigste war, wie bei den Blumen, zugleich auch die einfältigste:

A U A

U H U

A U A“

Um die gerade in Betrieb befindliche stürmische Jahreszeit auszukontern, hab ich mich dann, weil man auch mal was Sinnvolleres tun soll, als immer nur zu lesen, in eine Gastwirtschaft in der Nachbarschaft verdrückt und den Kollegen Tetzlaff dorthin bestellt, damit wir vom Tresen aus in den Regen gucken und den Blättern beim Fallen zuschauen konnten. Das war uns aber auf die Dauer zu interessant. Daher schlug ich vor, ein paar SATOR-Formeln zu basteln. Die berühmte SATOR-Formel „SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS“ stammt mutmaßlich aus dem 1. Jahrhundert und ist ein Satzpalindrom in Quadratform, das horizontal, vertikal, vorwärts und rückwärts gleich gelesen werden kann:

S A T O R

A R E P O

T E N E T

O P E R A

R O T A S

Was das SATOR-Quadrat, das eine Art magische Funktion besessen haben mag, bedeutet, ist umstritten. „Der Schöpfer (sator) lenkt (tenet) verborgen (arepo) die Räder (rotas) der Welt (opera)“? Oder „PATER NOSTER A O“, Vater unser, von Alpha bis Omega, vom Anfang bis zum Ende? Herrn Tetzlaff war das egal. Er griff sich einen Bierfilz und einen Stift, fing flott an und legte mit

O M A

M A O

A O K

einen respektablen Klotz vor, der renten-, welt- und gesundheitspolitische Aspekte in sich vereinigte – obwohl die Wörter nur vorwärts, vertikal und horizontal, aber nicht rückwärts gleich zu lesen und deshalb keine Palindrome waren. „So ganz stimmt’s nicht“, wandte ich ein. „Mir doch wurst“, entgegnete Herr Tetzlaff und nahm einen tiefen Zug von seinem Bier. „Wer braucht heute noch Palindrome? Die Scheiße ist auch so schon schwer genug.“ Und schon hatte er den nächsten Hammer aufs Papier gezaubert:

I C H

C D U

H U T

„Hut, Tuh“, sagte ich. „Gut, lassen wir’s bei der entschärften Variante. Ich – du – CDU, schön. Bloß, was hast du und was hab ich mit der CDU am Hut?“ – „Na, bitte schön …“, Herr Tetzlaff griff zum Kuli, „… immer haste was zu meckern. Nimm dies!“ Ich las:

S P D

P D S

D S F

Das war selbstverständlich nicht von schlechten Eltern und ziemlich gut gegeben. Ich spendierte Herrn Tetzlaff und mir zwei große Bier und versuchte mich, um ihm den Schneid abzukaufen, an einem etwas heikleren Begriff. Heraus kam folgendes:

L I E B E

I N S E L

E S S E N

B E E R E

E L N – –

„Blödmann“, sagte Herr Tetzlaff, „ ‚Liebe‘, ts. ts. Wie wär’s mit ‚Frau‘, hä?“ – „Ja klar. Und wie?“, fragte ich. „So“, sagte Herr Tetzlaff:

F R A U

R O S T

A S T A

U T A H

Um mir den Rest zu geben, erledigte Herr Tetzlaff anschließend das Thema „Gott“ durch

G O T T

O D E R

T E S A

T R A N

– und rundete den erkenntnistheoretischen Teil des herbstlichen Treffens mit unserem neuen heiligen Viereck ab:

B I E R

I N R I

E R S T

R I T T

Dann stierten wir in den Regen und schwiegen, wie es sich gehört. JÜRGEN ROTH