„Man kommt nicht einfach so in den Himmel“

METAPHYSIK Der Theologe Rolf Schieder über Gottes Wohnsitz, das Fegefeuer und verschiedene Höllen

■ 59, ist seit dem Jahr 2002 Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

taz: Herr Schieder, wer kommt in den Himmel?

Rolf Schieder: Das weiß nur Gott allein. Der Himmel ist der Wohnort Gottes. Er entscheidet, wer in seiner Nähe sein soll. Eigentlich spricht die Bibel weniger davon, dass wir in den Himmel kommen, vielmehr kommt der Himmel auf die Erde. Gott wird bei den Menschen wohnen, heißt es in der Offenbarung.

Kommt man nach dem Tod direkt in den Himmel?

Nein. Theologisch präzise ist, dass jeder stirbt und auferstehen muss, um dann vor Gottes Richterstuhl zu stehen. Ohne Jüngstes Gericht kommt keiner in den Himmel nach dem Tod. Nach katholischer Lehre durchläuft man erst ein reinigendes Fegefeuer, damit beim Jüngsten Gericht schon viel von dem, was man angerichtet hat, vergeben ist. Protestanten dagegen betonen, dass man hier und heute richtig leben muss, um am Ende auf die göttliche Gnade hoffen zu können. Alle Christen aber glauben, dass Gott ein gnädiger Richter sein wird. Alle haben die Chance, in Gemeinschaft mit Gott zu leben.

Alle, die an ihn glauben.

Das ist eine schwierige Frage. Bei der Trauerfeier für Rudolf Augstein sagte der Prediger den schönen Satz: „Ich weiß, dass Rudolf Augstein nicht an Gott glaubte, aber ich gehe davon aus, dass Gott an Rudolf Augstein glaubte.“ Aber Sie haben recht: Wer gar nicht ins Reich Gottes will, muss wohl auch nicht dorthin. In Dantes „Göttlicher Komödie“ gibt es die „Vorhölle“ für alle, denen das christliche Heilsdrama fremd ist. Die Bewohner der Vorhölle müssen weder die Herrlichkeit Gottes sehen noch verschiedene Höllen durchlaufen.

Viele glauben ja – nur eben nicht an den christlichen Gott.

Gott sei Dank darf jeder in unserem Land glauben, was er will. Niemand hat einen Beweis für die christliche Vorstellungswelt von einem Leben nach dem Tod. Und doch wirken sich diese Vorstellungen auf unser diesseitiges Leben aus. Denn je nachdem, wie ich mir meinen Tod vorstelle, organisiere ich mein Leben.

Im multireligiösen Berlin gibt es immer mehr Menschen, für die Himmel und Hölle sehr real sind. Wie gehen Sie damit um?

Migration bringt neue religiöse Dynamik in die Stadt. Viele Gruppen können mit einer historisch-kritischen Universitätstheologie, wie ich sie vertrete, wenig anfangen. Umgekehrt halte ich Fundamentalismus für gefährlich. Es gibt Religion, die schädlich ist, wie wir täglich aus den Nachrichten erfahren. Jede Religion braucht eine Theologie, die sie kritisiert. Wenn religiöse Gruppen bestimmen wollen, wer in den Himmel oder in die Hölle kommt, ist das eine Anmaßung. Gott allein bestimmt, wer ihm nahe ist. Da kann es Überraschungen geben. INTERVIEW: CLP