Die Knigge-Frage

Darf man beim Frühstück Zeitung lesen

Das Rascheln von Zeitungspapier ist meine Proust’sche Madeleine. Der Klang beamt mich zurück in die Kindheit. An den Frühstückstisch, fasziniert von den wirren Buchstaben, hinter denen sich die Köpfe meiner Eltern verbergen.

Heute ist der Moment unverzichtbar, in dem sich die Wirkung des Kaffees mit einer aus der Papier gewordenen Wirklichkeit stammenden Erkenntnis verbindet. Doch was für die einen das wichtigste Ritual des Tages ist, ist für andere der Inbegriff des Asozialen. „Dann frühstücke doch alleine“, wird denen oft entgegengebellt, die am Tisch zur Zeitung greifen. Aber worüber sonst als darüber, was in der Welt geschieht, soll man sich morgens unterhalten?

„Alles, was wir über unsere Gesellschaft, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, schrieb der Karteikartenneurotiker Niklas Luhmann. Insofern haben meine Eltern die verkrampften Lesefeinde dieser Welt Lügen gestraft. Studien zeigen, dass Kinder, deren Eltern am Frühstückstisch Zeitung lesen, später besser über gesellschaftliche Fragen mitentscheiden. Zeitungsgegner sind meist Opfer des allgegenwärtigen Kommunikationszwangs. Sie sprechen unablässig, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Doch Lesen erfordert Stille. Und was ist schöner, als in Anwesenheit eines geliebten Menschen zu schweigen? PHILIPP RHENSIUS

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