WEISSES FIEBER
: Neues von den Viren

Kolja, der viele Krankheiten ausprobiert

Kolja hat wahrscheinlich die Schweinegrippe, sagte mein Schriftstellerfreund L. – H1N1?, fragte ich ungläubig, ging das nicht im letzten Winter um? Ja, sagte L., aber die Ärztin meinte, er habe genau diese Symptome. Überhaupt seien die meisten, die jetzt darniederliegen, an Schweineinfluenza erkrankt, nur – da kein Pandemiealarm herrscht – werde nicht mehr auf den Erreger getestet, sagte L., der überraschend sicher das Vokabular eines Kinderarztes im Mund führte.

L. und ich sahen uns selten – er war viel unterwegs, um Stipendien abzusitzen und ungebriefte Laudatoren auf sein Lebenswerk anzuhören und neuerdings der kleine Kolja, der den Kick verschiedener Krankheiten ausprobierte. L. sagte, dieser Winter sei Kolja drei Monate durchgängig krank gewesen – mit 17 unterschiedlichen Diagnosen. Er hält uns auf Trab, sagte L. und schraubte eine Flasche Wyborowa auf.

Man kennt das ja: Sobald Menschen Eltern werden und Kinder in die Kita schicken, sind sie öfters krank und werden sogar Pioniere neuer Krankheitsbilder. All das war bei L. nicht der Fall. Kolja habe ihn bisher nicht angesteckt – abgesehen von drei Tagen im vergangenen November, in denen L. sich nicht so gut gefühlt habe – aber vielleicht hatte das auch andere Gründe, sagte er. Du willst sagen, du hattest einen Dauerkater?, fragte ich. Von Wodka bekommt doch man keinen Kater, korrigierte mich L., nur eben diesen erregten Wachzustand zwischen Traum und Realität. Die Polen nennen das weißes Fieber.

Ob weißes Fieber oder Koljas Viren, die vorübergehende Blümeranz hatte L. womöglich das Leben gerettet. Mir ging’s also nicht so gut, sagte er, und ich legte mich auf den Boden, statt mich in den Sessel zu werfen, wo ich sonst immer Bücher las. Und dann kam das Regal herunter und krachte genau auf den Sessel. TIMO BERGER