Haupt- und Nebenwidersprüche

VERMISCHTES Israel und Palästina bleibt ein Schwerpunktthema der taz-Leserinnen und taz-Leser. Daneben bewegt sie die Frage, ob Homosexuelle Blut spenden dürfen, ob Jäger Naturschützer sind und ob Soziologen HipHop verstehen. Lesen Sie selbst

■ betr.: „Böses Blut“, taz vom 6. 8. 14

Sollten homosexuelle Menschen Blut spenden dürfen, ja oder nein? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da letztlich beide Seiten plausible Argumente liefern. Eine Klärung dieser Frage durch einen Gerichtsentscheid über den Vorwurf der Diskriminierung kann keine Option sein. Dies würde zwar eine Gleichbehandlung bedeuten, aber auch zur Schwächung des Systems beitragen, oder im umgekehrten Fall die Diskriminierung aufrechterhalten, aber dafür auch andere Risiken weiterführen. Das Zeitalter von Aids als Homosexuellenkrankheit sollte überwunden sein. Auch Homosexuelle wollen keine infizierten Blutkonserven erhalten und stellen dieselben Sicherheitsanforderungen an das System. Jedoch muss klar sein, dass diese Sicherheit abnimmt, sollte das Spendeverbot für Homosexuelle aufgehoben werden; ganz gleich ob dieses Risiko noch so gering sein mag.

Der einzige Weg aus dieser Ungleichberechtigung liegt nicht in der Schwächung, als vielmehr in der Stärkung des Systems. Eine Unterscheidung zwischen homo- und heterosexuellen Partnerschaften ist ineffektiv, vielmehr muss das System auf einen häufigen Partnerwechsel der Spender hinweisen. Dies ist vermutlich im Sinne eines jeden künftigen Empfängers. TORSTEN MARTSCHINKE, Neuss

■ betr.: „Anachronistische Jagdprivilegien“, taz vom 26. 7. 14

Eine breite Mehrheit von 80 Prozent der Deutschen steht einer aktuellen Umfrage zufolge der Jagd positiv gegenüber und ist davon überzeugt, dass sie notwendig ist, um den Wildbestand zu regulieren sowie Wildschäden in Wald und Feld zu begrenzen. Hierzulande wird nachhaltig im Rahmen eines praxisnahen Naturschutzes gejagt. Das zahlt sich auch in hohen Zustimmungsraten aus. Nachhaltig bedeutet dabei, dass nur so viele Tiere erlegt werden wie langfristig nachkommen. Darüber hinaus übernehmen Jäger umfangreiche Schutz- und Hegemaßnahmen, die sie in der Regel selbst finanzieren. So zum Beispiel legen Weidleute jedes Jahr Hecken an, die zusammen so lang sind wie die Chinesische Mauer. Davon profitieren nicht nur jagdbare Arten, sondern auch Insekten, Bodenbrüter, Lurche und andere Tiere. Nicht ohne Grund sind die Jagdverbände in Deutschland anerkannte Naturschutzverbände.

Dennoch scheint die Nutzung der natürlichen Ressource „Wild“ einzelnen um Aufmerksamkeit buhlenden Organisationen ethisch bedenklich, obschon mehr Bio kaum möglich ist und das Wild bis zu seiner Erlegung ein freies Leben führen durfte. Regelmäßig wird in diesem Zuge von sogenannten Experten die Jagd mal mehr oder weniger grundsätzlich infrage gestellt. Diesmal vom Nabu mit Hinweis darauf, sie sei nicht geeignet, den Wildbestand angemessen zu regulieren, schließlich blieben die steigenden Abschusszahlen von Wildschweinen und Rehen ohne nennenswerten Einfluss auf deren Populationsentwicklung.

Wahr ist, dass die Wildschwein- und Rehpopulation in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts gestiegen ist, während Hasen und Rebhühner an Zahl abnahmen. Die Gründe hierfür bestehen jedoch nicht in einer vermeintlich fehlgeleiteten Jagdausübung, sondern in veränderten Nutzungsformen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft. Sie bieten einzelnen Arten Nahrung im Überfluss sowie Versteckmöglichkeiten, die es ihnen erlauben, sich bis zur Ernte weitgehend der Bejagung zu entziehen. Auf diese Weise erreichen zum Beispiel Wildschweine immense Reproduktionsraten, während sich Rebhühner und Hasen mit diesen Bedingungen schwertun.

Bliebe unter den gegebenen Umständen die Jagd, wie vom Nabu gefordert, auf die Zeit zwischen September und Dezember beschränkt, stiegen die Wildschäden auf ein Maß, das die Existenz vieler Land- und Forstwirte bedrohen würde. Setzte man gar die Bejagung von Füchsen und Waschbären aus, gerieten einheimische Niederwildarten wie Fasan, Rebhuhn und Hase noch stärker unter Druck. Es bestünde die Gefahr, dass diese verdrängt würden. Die Vielfalt der Arten in unserer Kulturlandschaft würde abnehmen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage des Umdenkens hin zu einer stärker an Biodiversität ausgerichteten Landwirtschaft, die sowohl den einheimischen Wildarten eine verlässliche Lebensgrundlage bietet als auch deren Regulierung durch Bejagung ermöglicht. Stattdessen steht die Jagd in ihrer bewährten Form am Pranger. Handelt es sich dabei um Unkenntnis oder denkt der Nabu, mit einer emotionalen Kampagne die Spendenbereitschaft gutgläubiger Naturfreunde für sich nutzen zu können? Spekuliert die Organisation auf die zunehmende Naturentfremdung derer, die die Natur für ein zerbrechliches Gebilde halten, das man am besten nicht betritt? Hier ist Aufklärungsarbeit gefragt. Denn wir alle leben in und mit der Natur. Sie bietet alles, was wir benötigen, wir müssen nur verantwortungsvoll mit ihr umgehen. Nicht mehr zu nutzen als nachwächst, das ist Naturschutz! Aufklärung bedeutet auch, auf den Etikettenschwindel hinzuweisen, den der Nabu im Namen des Naturschutzes betreibt. Der Verband lehnt in seinem Positionspapier die Verwendung von Fallen im Rahmen der Jagdausübung ab. Verwendet aber in eigenen Naturschutzprojekten Fallen unter der Bezeichnung des „Prädatorenmanagements“.

Falsch verstandene Tierliebe zeigt sich auch auf dem Gebiet des Rechts. Die Bestrebungen des Nabu, das Wild aus dem Jagdgesetz herauszulösen und unter das Naturschutzgesetz zu stellen, klingen nur im ersten Moment zustimmungsfähig, führen jedoch in die Irre. Denn prinzipiell sind alle wilden Tiere und Haustiere durch das Tierschutzgesetz geschützt. Wild unterliegt zudem nach dem Bundesjagdgesetz weiteren Schutzbestimmungen wie der Artenschutzverordnung und der Bundeswildschutzverordnung. Während nach Naturschutzrecht das Töten von Tieren mit Ausnahme bedrohter Arten und in Schutzgebieten als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, stellt das Jagdrecht unsere Wildtiere unter einen sehr viel strengeren Schutz: Es bestimmt, dass das unrechtmäßige Nachstellen, Fangen und Erlegen von Wild als Wilderei gilt. Und Wilderei wird als Straftat verfolgt. UDO APPENZELLER, Präsidiumsmitglied des Landesjagdverbandes Brandenburg e. V.

■ betr.: „Doppelt marginalisiert mit Gemüseabo“, taz vom 7. 8. 2014

Da beklagt mit dem Soziologen Nicklas Baschek also ein bürgerlicher Mittelschichtler, Bourdieu bemühend, die „feindliche Übernahme“ des HipHop (der für ihn offensichtlich gleichbedeutend mit Gangsta Rap ist) durch die bürgerliche Mittelschicht, und dass die „Marginalisierten, die in den Geschichten und Gesten größtmöglicher Souveränität mal eine Stimme erhalten haben“, nun ein zweites Mal marginalisiert werden. Als ob es den Gangsta-Rappern je darum gegangen wäre, irgendjemandes Stimme zu sein, und nicht in allererster Linie darum, reich und berühmt zu werden und dabei jede Menge Spaß zu haben – und für ganz so ironiefrei wie Baschek halte ich sie auch nicht. All das, was der Autor beklagt, verkörpert er – zumindest in diesem Artikel – selbst. Baschek vergießt Krokodilstränen, und die „Marginalisierten“, wer immer das konkret sein soll, haben sich wohl längst anderen musikalischen Trends zugewandt – wenn sie überhaupt jemals in größerer Zahl den Kult um den Gangsta Rap mitgemacht haben. VOLKER SCHEUNERT, Hamburg

■ betr.: „Der Holocaust, Israel und du“, taz vom 5. 8. 14

In der vergangenen Woche wurde auf die Wuppertaler Synagoge ein Brandanschlag verübt. Zwei der angeblichen Täter sind von der Polizei festgenommen worden. Am Tag darauf fand eine Demonstration vor der Synagoge statt. Vom CDU-Oberbürgermeister bis zu den Autonomen spannte sich das politische Spektrum der Anwesenden. Der OB machte in seiner Rede klar, dass die Personen, die für den Anschlag verantwortlich sind, nicht zu den Wuppertaler Bürgern gehören. Indirekt rief er zur Entfernung der „Antisemiten“ auf. Bei den Festgenommenen handelt es sich um junge Erwachsene, angeblich ein Palästinenser und ein Syrer.

Damit wird eins klar, der Antisemitismus ist längst eng verwoben mit einem Antiislamismus. Auch darum können wir nicht schweigen zu den Ereignissen in Deutschland und im Nahen Osten. Der deutsche Staat ist nicht in der Lage, Muslime zu schützen, siehe NSU. Man kann den Eindruck gewinnen, er will es auch nicht, staatliche Spitzel in der Naziszene werden zu Akteuren, muslimische Opfer zu Tätern. Wir müssen lernen, die Opfer dieses Staates und von Nazibanden nicht in Gruppen zu zerlegen, hier die Juden, da die Muslime. Und die Täter in Wuppertal sind vielleicht auch Opfer einer Politik, die einem Teil der Jugend keine Chance gibt, weder beruflich noch politisch. Ich plädiere daher dafür, dass wir die Stimme erheben gegen jede Art der Barbarei, auch wenn viele von uns Söhne und Töchter der Naziväter und Mütter sind. Eine Form der Barbarei wäre die „Entfernung“ einer Gruppe aus der Gesellschaft, wie vom Wuppertaler OB gesagt, auch wenn sie Täter sind. Sie sind Teil der Gesellschaft, wie wir, wie Nazis, ich und du. Keiner soll Angst vor dem Verlust seiner Existenz haben müssen, weder hier noch in den Ländern des Nahen Ostens. Dazu brauchen wir eine offene politische Auseinandersetzung, auch wenn es oft schwerfällt, die Ratschläge anderer nur zu hören. JOSEF HARTMANN, Velbert

■ betr.: „Der Holocaust, Israel und du“, taz vom 5. 8. 14

Was mich an Yücels Kolumne „Besser“ stört, ist weniger, dass sie wie ein inverser Ariernachweis funktioniert – obwohl schon dies ein diskussionswürdiger Punkt wäre –, sondern vielmehr ihre unausgegorene und widersprüchliche Argumentationslinie. Wenn Yücel die Position vertritt, Deutsche (wir lassen dieses Attribut mal ohne Differenzierungen wie: Deutsche, deren kommunistischer Opa das KZ überlebt hat; Deutsche, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei zugewandert sind; Deutsche, die seit einigen Tagen Probleme haben, ihre Verwandten in Rafah zu erreichen; Deutsche, die gerade bei ihrer Großtante in Tel Aviv weilen; Deutsche, denen Haiphong aus familienhistorischen Gründen näher steht als der Holocaust …), wenn Yücel also darauf beharrt, dass Deutsche aus historischen Gründen gefälligst nicht die Politik Israels zu kritisieren hätten, dann begibt er sich in unauflösbare Widersprüche – zumindest wenn man Menschen als grundsätzlich aufklärungsfähige und autonome Wesen betrachtet und Demokratie ernst nimmt.

Dass der Nahostkonflikt eine Bedeutung hat, die über Israel und die Palästinenser hinausreicht, wird auch Yücel verstehen. Dass sich weder eine deutsche Regierung noch „die“ Deutschen im politisch luftleeren Raum bewegen, sollte auch der im polemischen Wonnegefühl schwelgende Kolumnist begreifen. Es dürfte von diesen Grundtatbeständen aus betrachtet auch einigermaßen klar sein, dass die derzeit fraglos mächtigste Nation der EU zu den Vorgängen in Nahost nicht einfach schweigen und so tun kann, als fände nichts statt – was sie ja auch nicht tut. Dann aber bleibt es „dem“ beziehungsweise „der“ gemeinen Deutschen kaum erspart, sich entsprechend demokratischer Urtugend eine Meinung über diese Vorgänge zu bilden, sich ins Verhältnis zu den Verhältnissen zu setzen und das Maul auf die eine oder andere Weise aufzumachen. Es sei denn, wir wollen die Demokratie mit Verweis auf die Untaten der Nazis partiell suspendieren. Wo hört das auf? Die Nazis haben übrigens nicht nur mindestens sechs Millionen Juden, sondern auch massenhaft Russen, Ukrainer und andere beklagenswerte Völker und Volksgruppen massakriert. Sollen wir überall dort, wo die Nazis gewütet haben, politische Enthaltsamkeit üben?

Es genügt ein relativ kurzer Gedankengang hinsichtlich der absurden Konsequenzen dieser Position, um zu erkennen, dass die Mängel eines Standpunktes, wie Yücel ihn vertritt, weniger in seinem moralischen Rigorismus als in seiner gedanklich-logischen Qualität liegen.

MARKUS STEUER, Darmstadt

■ betr.: „Den Feind zum Freund haben“, taz.de vom 5. 8. 14

Die Geschichte von Leopold von Mildenstein ist bereits gut dokumentiert. Ja, er war in Palästina (da wurde sogar die bekannte Gedenkmedaille mit Davidsstern und Hakenkreuz geprägt), und ja, er ist in Ungnade gefallen, weil nämlich die Emigration der Juden nach Palästina dem Sicherheitsdienst nicht schnell genug ging. Mildenstein war übrigens von den Fortschritten der zionistischen Siedler in Palästina begeistert und hat in Der Angriff einen sehr positiven Artikel darüber geschrieben. Zwischen 1933 und etwa 1941 hat das Deutsche Reich mit der Zionistischen Vereinigung zusammengearbeitet, um die Übersiedlung der deutschen Juden und den Transfer der Vermögenswerte zu organisieren. Die Emigration in Verbindung mit dem Transfer bedeutender Summen (etwa 1–3 Prozent des BIPs Palästinas in dieser Zeit) hat zu einer starken Verschiebung der Verhältnisse und zum Aufstand der Araber 1939 geführt, woraufhin die britischen Mandatsbehörden die Einwanderung stark einschränkten. GERALD MÜLLER, taz.de