Über die eigenen Verhältnisse geschrieben

AUFLÖSUNGSERSCHEINUNGEN Wo die anderen auch abhängen: „Mitternachtsboogie“ von Edo Popovic

Mitte der 80er Jahre zeigte das Jugoslawien Titos bereits unübersehbare Auflösungserscheinungen. Im Nachhinein jedenfalls sieht es so aus, wenn man Edo Popovic’ verspielten, undisziplinierten Debütroman liest. Die sozialistische Jugend ist verrottet, die alten Ideale taugen nichts mehr, und das weltanschauliche Vakuum ist noch nicht neu besetzt, eben auch noch nicht von der bald daraufhin virulenten rassistisch-völkischen Doktrin.

„Mitternachtsboogie“ verliert sich ganz in atmosphärischen Skizzen. Popovic ist immer da, wo die anderen seiner Generation auch abhängen, saufen, rauchen, vögeln. Wie sehr dieses Buch dem Leben abgerungen war, zeigt das weitere Schicksal des Autors. Er lässt sich in eine Suchtklinik einweisen und publiziert vier Jahre gar nichts mehr. Dann beginnt der Krieg, und das ist die Katastrophe, die Popovic wieder zum Schreiben bringt. Seine unbestechlichen Reportagen von der Front gelten bald als Referenztexte über den Krieg auf dem Balkan. Erst im Jahr 2000 publiziert er wieder etwas Literarisches, einen schmalen Erzählungsband, der die Geschichte „Unter dem Regenbogen“ enthält, Popovic’ einzige belletristische Auseinandersetzung mit dem Krieg, die nun auch dieses Buch hier beschließt.

Über die Unsitte, Erzählungsbände auseinanderzureißen und neu zu komponieren, ließe sich viel Kritisches sagen. In diesem speziellen Fall ist das besonders ärgerlich, weil es wohl nun in absehbarer Zeit keine Übersetzung von Popovic’ literarischem Comeback geben wird. Mit „Unter dem Regenbogen“ begann seine Metamorphose nach seinen Jahren als Journalist hin zu enorm sublimierten erzählerischen Qualitäten. Aus dem aufgedrehten, stets ein bisschen über seine Verhältnisse schreibenden Popliteraten wird ein stilistisch zurückhaltender, aber umso effektvollerer Erzähler. Er hat gelernt, dass es fast noch mehr darauf ankommt, was man weglässt, als darauf, was man schreibt. FRANK SCHÄFER

Edo Popovic: „Mitternachtsboogie“. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2010. 173 Seiten, 19,86 Euro