„Herbstbilder“ von Micha Bojanowski

Ein kühler Herbsttag in Gauting, einem Ort in der Nähe des Starnberger Sees. Der Fotograf und Filmemacher Micha Bojanowski baut seine Kamera auf, um ein Gebäude abzulichten. In diesem Haus wurde vor 22 Jahren der damalige Chef des Rüstungskonzerns MTU, Ernst Zimmermann, von der RAF erschossen. Seine Frau erlebte den Mord im Nebenzimmer mit.

Plötzlich geht die Tür der Villa auf, eine Frau kommt auf Bojanowski zu, fragt ihn, was er hier mache. Es ist Frau Zimmermann, die noch immer in dem Haus wohnt, in dem ihr Mann hingerichtet wurde. Ein schlichtes Haus – einer von vielen Orten der Gewalt, der Attentate, der Sprengstoffanschläge, der Entführungen und der Morde seit dem„Deutschen Herbst“ 1977.

Die Tatorte – Denkmäler des bewaffneten Kampfes der RAF gegen den Staat und seine direkten oder indirekten Repräsentanten – umgibt eine absurde Stimmung der Kühle, der unterdrückten Spannung, Distanziertheit und scheinbaren Stille. Genau dies inspirierte Bojanowski, den grobkörnigen Schwarzweißfotos aus der Tagespresse von damals seine großformatigen schlichten Farbaufnahmen gegenüberzustellen. Mit den Fotos von heute kommt die Erinnerung an eine Zeit zurück, die die Handschrift der Gewalt als vermeintliches Mittel der politischen Auseinandersetzung trug und in der mit dem ersten Toten die Möglichkeit zu einem Konsens ausgeschlossen wurde. Gewalt gegen Mensch und Materie sollte das Fundament einer neuen Ordnung werden. Das Fundament wurde nie fertiggestellt. Symbolisch dafür stehen die 30 Farbfotos, beginnend 1970 am Ort der Flucht Andreas Baaders durch einen Sprung aus dem Fenster des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen in Berlin. Endend auf dem Bahnhof von Bad Kleinen mit den letzten RAF-Toten 1993.

Als Bojanowski die Zelle im heutigen Jugendknast Stammheim fotografieren will, in der sich 1976 Ulrike Meinhof erhängte und 17 Monate später Andreas Baader erschoss, sitzen dort zwei Jugendliche ein. Mit der RAF können sie nichts anfangen, mit der Erklärung des Fotografen schon: „Das war ’ne Gang in den 70ern und 80ern, die haben Banken überfallen, Leute entführt und ermordet. Und die Bosse haben sich hier umgebracht.“ – „Cool“, sagt einer von ihnen. JÖRG HEYNLEIN

Micha Bojanowskis „Herbstbilder“ sind vom 21. September an im Schauspielhaus Stuttgart in der Reihe „Endstation Stammheim“ zu sehen